Blood Romance 03 - Bittersuesse Erinnerung
mehr. Alles, was mir geblieben ist, sind meine Erinnerungen an mein sterbliches Dasein. Meine einstigen Gefühle - Schmerz, Trauer, Glück - sind heute nichts weiter als Illusionen. Aber durch sie wird die Unendlichkeit erträglich, sie stützen und trösten einen, obwohl sie nicht echt sind, und sie geben einem den Anschein, noch dazuzugehören. Sie sind die einzige Verbindung zum tatsächlichen Leben als Mensch.«
Dustin dachte über Emilias Worte nach und versuchte, das alles zu begreifen. »Aber ist das nicht eigentlich ... wunderbar?«, platzte es schließlich aus ihm heraus. »Du wirst ewig jung sein, ewig schön. Du darfst Fehler begehen und hast genügend Zeit, sie wieder zu korrigieren, wenn es vonnöten ist. Du kannst immer wieder von Neuem beginnen, darfst all das ausprobieren, wonach dir ist ... Und hinzu kommt, dass dir niemand anmerkt, was du bist, denn du siehst aus wie ein ganz normaler Mensch und hast deine Erinnerungen, die dir das Gefühl geben, ein Mädchen aus Fleisch und Blut zu sein. Du kannst dich frei und unbemerkt in dieser Welt bewegen — welch größeres Glück kann einem wohl widerfahren?« Dustins Körper bebte bei der Vorstellung von Freiheit und grenzenlosen Möglichkeiten. Kein Bangen vor dem Ende, keine Angst mehr vor dem Tod ...
Aber Emilia schüttelte ernst den Kopf. »Nein, so stimmt es nicht ganz«, sagte sie. »Du hast natürlich recht, die Ewigkeit hat ihre Reize und Vorteile, aber der Schein trügt. Ich fühle mich seit meiner Verwandlung nicht mehr vollständig, bin nicht mehr wirklich ich. Ich erinnere mich zwar an Gefühle und zehre davon, aber das ist nicht gleichzusetzen mit echten Empfindungen, verstehst du? Und tagtäglich spüre ich diese Kälte in mir und habe Angst, mich zu verlieren. Wenn ich vergesse, wer ich einst war, dann bin ich ein Nichts, ein Niemand in einer Welt, die zwar unendlich, aber einsam ist. Schrecklich einsam.«
Dustin senkte den Kopf, ohne etwas zu erwidern. Nach einer Weile fragte er: In dem Brief steht, dass du dich von Tierblut ernähren kannst. Aber was ist mit ... Menschenblut? Ich meine, hast du schon mal ...«
Emilia schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, ich fürchte mich zu sehr davor, obwohl der Hunger danach oft unerträglich ist. George hat mich eindringlich davor gewarnt und angedeutet, dass es gefährlich sein kann, sich unüberlegt dem Verlangen danach hinzugeben. Ich würde es nur dann tun, wenn ich wirklich ... verliebt wäre und wüsste, dass mich der andere auch liebt, so, wie es mir George geraten hat. Ich muss mich auf seine Worte verlassen, ich kenne sonst niemanden, der so ist wie ich.« Emilia blickte Dustin in die Augen. Ihre Lippen zitterten, als sie weitersprach. »Würde mir derjenige sein Blut freiwillig geben, der mich wirklich liebt und den auch ich liebe, dann würde ich wieder zu einem Menschen und wäre endlich wieder ich selbst. Ich bräuchte keine Angst mehr davor zu haben, dass man mein Geheimnis lüftet, mein Vater müsste sich keine Sorgen mehr machen ... Und der arme Henry müsste nicht mehr nachts hinaus, um für mich zu jagen.«
»Henry? Also doch ...« Dustin sprang alarmiert auf. Die Wut auf Henry, die durch Emilias Geschichte kurzzeitig in Vergessenheit geraten war, stieg augenblicklich wieder in ihm empor.
»Er hat Fido getötet, wie ich angenommen habe. Jetzt ergibt es Sinn, natürlich. Er hat ihn für dich erlegt, du solltest sein Blut trinken.« Dustin zog das Röhrchen mit der roten Flüssigkeit wieder hervor, das er im Wald bei Fido gefunden hatte, und blickte es angeekelt an. Sein Magen drehte sich bei der Vorstellung um, dass Emilia diesen Inhalt hatte ... trinken sollen.
»Nein, so war es bestimmt nicht, jedenfalls nicht so, wie du denkst.« Emilia legte Dustin beruhigend die Hand auf die Schulter. »Henry tötet nicht freiwillig, er hasst es. Ich kenne keinen friedfertigeren Menschen als ihn. Aber er tut es für mich, weil ich es noch weniger übers Herz bringe, einem Lebewesen etwas anzutun. Henry und ich sind zusammen aufgewachsen, wir waren fast gleich alt - früher. Seit ich ... nicht mehr ich bin, geht er nachts in die tiefsten Wälder Englands, dort findet er meist ohne Probleme Nahrung für mich. Er füllt das Blut in kleine Glasröhrchen ab und eigentlich sollte er Nachschub von Zuhause mitbringen. Leider wurden ihm und Rose auf dem Schiff zwei Gepäckstücke gestohlen. Eines davon enthielt die Fläschchen mit Tierblut.«
Dustin schüttelte den Kopf, er konnte das alles
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