Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Gefahr. Eigentlich konnte sich May nicht vorstellen, dass Dustin derart kopflos handelte. Ihm lag tatsächlich etwas an Sarah, das hatte sie mittlerweile verstanden. Er musste noch irgendetwas in der Hinterhand haben und genau das galt es herauszufinden.
»Du wirst dich mit ihm aussprechen und versöhnen«, unterbrach Jonathan ihr Grübeln. »Und anschließend versuchst du dahinterzukommen, was er in Sachen Emilia plant und auf welchem heimtückischen Weg er sich seine Menschlichkeit zurückerobert hat.«
May nickte. »Hast du denn eine Ahnung, wo Dustin im Moment steckt?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Wir werden ihn suchen müssen« erwiderte er. »Und am besten verlieren wir keine Zeit mehr. Ich nehme mir den Canyon Forest vor und du beginnst hier im Wohnheim.«
Henry stand vor Dustins leerem Bett und ließ betroffen das Messer sinken. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und seine Nervosität, die seit seinem Entschluss stündlich in ihm gewachsen war, verwandelte sich mit einem Mal in Fassungslosigkeit. Henry hatte noch niemals freiwillig einem Lebewesen etwas angetan, geschweige denn einem Menschen. Aber für Emilias Wohl hatte er sich zu diesem Schritt durchgerungen, so wie er es auch gelernt hatte, gegen seine innere Abneigung im Wald für sie zu jagen und sie mit Tierblut zu versorgen, damit ihr dieses Grauen erspart blieb. Aber obwohl Henry in den letzten zwölf Jahren gelernt hatte zu töten und Dustin abgrundtief hasste, hatte er sich vor diesem Vorhaben gefürchtet und die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Und nun, da er sich seinem Ziel so nahe geglaubt hatte, ging sein Plan nicht auf. Dustin war fort.
Henry fuhr sich über die Stirn und versuchte sich wieder zu sammeln. Es war unwahrscheinlich, dass Dustin um vier Uhr morgens einen Spaziergang unternahm, und seit er ihn kannte, hatte der junge di Ganzoli auch noch nie auswärts genächtigt. Wo also konnte er um diese Zeit stecken, wenn nicht am Ende bei -
Henrys Blick schnellte zum Fenster, als er draußen eine Bewegung wahrnahm. Eine schmale Gestalt stürzte aus dem Gästehaus. Sie trug keine Schuhe und die langen Haare wehten aufgelöst hinter ihr her. Henry stockte der Atem. Emilia ... Er verschwendete keinen Gedanken mehr daran, ob ihn jemand bemerken könnte oder nicht, sondern rannte einfach aus Dustins Zimmer. Es musste etwas geschehen sein. Emilia schien vor irgendetwas zu fliehen oder ... vor irgendjemandem.
Als Henry schwer atmend auf der Steintreppe des Haupttraktes stehen blieb, war Emilia spurlos verschwunden. Henry setzte an, hinter dem Haus nachzusehen, da regte sich abermals etwas in der Nähe des Gästehauses. Schnell verbarg er sich hinter einem Mauervorsprung. Eine Gestalt verließ das Gebäude, blieb einen Augenblick lang davor stehen, blickte sich suchend um und verschwand schließlich schnellen Schrittes im Haupttrakt. Für einen kurzen Moment nur hatte Henry im fahlen Licht des anbrechenden Morgens einen Blick auf sein Profil werfen können - aber lange genug, um zu erkennen, um wen es sich handelte.
Bitte lass mich nicht zu spät kommen, flehte Henry stumm, bitte lass es noch nicht geschehen sein.
Er schlich um das Haus herum, bis er vor Dustins Fenster stand. Ein Blick in das kerzenbeleuchtete Zimmer genügte und Henry wusste, dass er zu spät gekommen war. Die zwei unverkennbaren Einstiche an Dustins Hals waren der Beweis dafür. Henry fühlte bleierne Schwere in seinen Beinen, die drohte, ihn einfach zu Boden zu reißen. Emilia hatte Dustin tatsächlich ihr Geheimnis verraten, sie hatte ihn in ihr Zimmer gelassen, um sein Blut zu trinken. Aber ... was war anschließend geschehen?
»Henry? Henry!«
Er fuhr herum. »Emilia!«
Sie stand mit gekrümmtem Oberkörper an einen Baumstamm gelehnt und starrte zu ihm hinüber. Die rechte Hand hielt sie fest gegen ihre Brust gepresst.
»Emilia, was ist passiert? Was ... was hat dieser Mistkerl mit dir gemacht?«
»Ach Henry ...« Emilia schluchzte auf und ließ sich zu Boden sinken. Henry rannte auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn und er wiegte sie hin und her und flüsterte beruhigend auf sie ein, obwohl er innerlich vor Aufregung und Wut zitterte. »Es wird alles gut, bald wird alles wieder gut, Emilia, hörst du?«
»Aber es tut so weh, Henry, es tut so schrecklich, schrecklich weh!«
»Was, Emilia, was tut dir weh? Hast du Schmerzen? Wo denn?«
»Hier ... hier, ganz tief in mir drin«, schluchzte sie und
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