Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
kam, ergriff sie erneut das Wort. »Ich schätze, meinen Namen kennst du mittlerweile. Und mit Sicherheit hast du schon eine Menge von mir gehört. Trotzdem will ich mich dir offiziell vorstellen: Ich bin Emilia.«
Sarah spürte ihre Beine kaum noch und hielt sich taumelnd am Treppengeländer fest. Die schmale Hand, die sich ihr entgegenstreckte, ignorierte sie. Sie war unfähig sich zu bewegen und merkte, wie sich das Herz in ihrer Brust zusammenzog, als wollte es sich klein machen und verstecken. Emilia ... dieser Name war wie ein Fluch, ein Schimpfwort. Bilder blitzten vor Sarah auf. Die elegante Frau auf ihrer Straße, das Mädchen mit dem roten Pferdeschwanz, das Sarah auf dem Campus gesehen hatte ... Emilia war ihr schon ein paarmal über den Weg gelaufen. Und Jonathan ... Jonathan wusste, wer sie war, er hatte sie erkannt und deshalb auf so eigenartige Weise versucht, Sarah vor unbekannten Personen und möglichen Gefahren zu warnen. Jetzt wurde ihr so einiges klar. Emilia hatte sich mitten unters Volk gemischt - und konnte gerade dadurch agieren, ohne sich verdächtig zu machen. Sarah wusste nicht, wie sie sich Emilia vorgestellt hatte. Vielleicht als eine Art Phantom, eine flüchtige vermummte Erscheinung, die im Wald hauste und nicht mehr viel Menschliches an sich hatte. Diese Frau vor ihr ... sah jedoch unglaublich attraktiv aus und wirkte im ersten Moment ungefährlich. Und dennoch - ein tieferer Blick in ihre kristallklaren grünen Augen genügte und Sarah verstand, dass dies alles nur Fassade und mit ihr keinesfalls zu spaßen war. Sarah spürte, wie sich ihr Schock von eben immer mehr in Angst verwandelte, schreckliche Angst, Todesangst. Sie sickerte wie Gift durch alle Gliedmaßen und legte ihren Körper lahm.
»Was wollen Sie ... willst du von mir?« Sarahs eigene Stimme klang seltsam fern und fremd in ihren Ohren.
»Ich möchte, dass du mich begleitest«, erwiderte Emilia. »Ohne Geschrei und Aufsehen. Das würde unserer frischen Bekanntschaft nur eine unschöne, bittere Note verleihen und meine Nerven unnötig strapazieren. Und die, Schätzchen, sind im Moment ohnehin dünn wie Papier.«
»Wohin ... gehen wir denn?«
»Zu mir nach Hause. Dort wird es dir hoffentlich gefallen. Ich versuche jedenfalls, dir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Dir wird es an nichts fehlen, solange du nur auf meine Fragen antwortest und dich nicht hysterisch benimmst. Alles Weitere ... hängt weder von dir noch von mir ab.«
Sarah schluckte. »Was ... was heißt alles Weitere ?«
Emilia schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sprechen darüber, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Es gibt nämlich jemanden, den meine Pläne ebenfalls interessieren sollten, und ich möchte nicht alles zweimal erklären müssen.« Emilia öffnete die Tür. »Oh, ich sehe, du hast sogar schon gepackt, wie praktisch. Gut, dann kann es ja losgehen. Bitte nach dir, Sarah.«
Sarah zögerte. Ihre Beine wollten sich einfach nicht von der Stelle bewegen. Mom, wo bleibt Mom?, schoss es ihr durch den Kopf. Und warum war keiner der Nachbarn zu sehen? Vielleicht würde Emilia abhauen, wenn Sarah und sie nicht mehr allein wären. Oder -
Ausgerechnet in diesem Augenblick piepste Sarahs Handy in ihrer Hosentasche.
»Ach, sieh an, eine Kurznachricht«, bemerkte Emilia mit hochgezogenen Augenbrauen. »Lass doch mal sehen.«
Sarah reichte Emilia mit zitternder Hand ihr Telefon. Emilia lächelte. »Nein, was für ein komischer Zufall. Deine Mom steckt auf dem Highway fest, kurz vor der Westausfahrt Rapids.« Emilias Gesicht drückte Anteilnahme aus. »Du sollst dir keine Sorgen um sie machen«, schreibt sie, »es geht ihr gut. Und sie hofft, dass auch du heil zu Hause angekommen bist. Es gab nämlich einen schlimmen Autounfall und die Straße wurde komplett gesperrt. Tragisch, wirklich tragisch.« Emilia steckte Sarahs Handy in ihre schwarze Lackhandtasche. »Du wirst noch in den Nachrichten davon hören. Ein junges Pärchen auf dem Weg in die Flitterwochen. Einfach von der Straße abgekommen ... Beide erlagen noch am Unfallort ihren schweren Verletzungen. Vermutlich sind sie verblutet. Obwohl ...«, Emilia nahm Sarah fest beim Arm und schob sie zur Haustür, »... die Spurenermittler selbst mit der Lupe nicht den kleinsten Tropfen Blut vorfinden werden.«
May starrte auf die Zeilen vor sich. Sie hatte Jonathan nicht so früh zurückerwartet, aber schon ein paar Stunden nach seinem letzten Besuch war er völlig aufgewühlt in das
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