Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Schließlich hatte sie ihm noch kürzlich Dinge an den Kopf geworfen, die niemand einfach so hinnehmen und verzeihen konnte. Sie hatte ihn als Lügner und Mörder beschimpft, als Verräter und gefühllose Bestie. Plötzlich war sich May ganz und gar nicht mehr sicher, ob Dustin tatsächlich noch immer Wert auf ihre Freundschaft legen und ihr Friedensangebot annehmen würde. Nachdem er so lange Zeit bei ihr auf Ablehnung gestoßen war, konnte sie es ihm noch nicht einmal verübeln, wenn er jetzt genug von ihr hatte. Trotzdem musste und wollte sie versuchen, ihn um Verzeihung zu bitten.
»Dustin, ich ... ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, begann sie mit brüchiger Stimme, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. »Ich bin mir auch nicht sicher, was Sarah dir genau erzählt hat, aber ... Es tut mir so schrecklich leid, was alles zwischen uns geschehen ist. Du musst mich für dumm halten, für blind und grausam ... und vielleicht wirst du mir auch nicht glauben, wenn ich dir sage, dass ich es mittlerweile besser weiß und - «
»Ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe, May!«
Mays Blick schnellte hoch und sie sah ihm unsicher ins Gesicht. Nein, es lag kein Hohn, keine Lüge in seinen Augen. Dustin lächelte. Er lächelte sie an, trat auf sie zu und zog sie ohne ein weiteres Wort an sich. May stand zunächst wie angewurzelt da, doch dann breitete sich mit einem Mal ein Gefühl der Erleichterung in ihr aus, wie sie es schon lange nicht mehr gespürt hatte, und sie schlang ebenfalls ihre Arme um ihn. Ihr war, als platzte irgendwo in ihrem Innern ein dicker Knoten und löste sich in Luft auf. May fühlte sich plötzlich viel leichter. Endlich gab es wieder jemanden, der sie verstand, einen Freund, einen Vertrauten. Endlich war sie nicht mehr allein. Sie würden nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern ihre Ängste, Zweifel und Fragen teilen und Seite an Seite -
Es dauerte einen Augenblick, bis May sich wieder daran erinnerte, weshalb sie Dustin gesucht hatte und worin Jonathans und auch ihr eigenes Anliegen bestand. Sie schluckte und machte sich von Dustin los. Nein, so einfach war die Lage leider doch nicht. May hatte eine Mission zu erfüllen und durfte sich nicht davon ablenken lassen. Sie musste herausfinden, was es mit Dustins wiedererlangter Menschlichkeit auf sich hatte und mit welchem Vorhaben er nach Rapids zurückgekehrt war. Wie sie mit den Informationen umging, die sie sammeln würde - und inwiefern sie diese tatsächlich an Jonathan weitergeben würde -, musste sie allerdings erst abwägen. Sie hatte ihre eigenen Ziele und deshalb war allem und jedem gegenüber Vorsicht geboten.
»Gehen wir?«, fragte Dustin. »Ich glaube, es gibt einen besseren Ort, um sich in Ruhe zu unterhalten.«
May nickte zustimmend. »Wollen wir vielleicht ... zu dir gehen? Hast du irgendeine Bleibe oder bist du in dein Wohnheimzimmer zurückgekehrt?«
Dustin zögerte mit seiner Antwort. Anscheinend war auch er nach ihrer überschwänglichen Begrüßung lieber wieder etwas vorsichtiger. »Ich habe ein Motelzimmer am Waldrand«, murmelte er undeutlich. »Ich glaube aber, es wäre besser, wir suchen uns einen neutraleren Platz. Einen, wo uns niemand bemerkt.« Er sah sich unsicher um. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich fühle mich nirgends mehr unbeobachtet.«
May verstand seine Reaktion und dachte nach. »Wie wäre es mit der kleinen Kapelle, die hinter dem Campus liegt?«, schlug sie schließlich vor.
Dustin runzelte fragend die Stirn.
»Du weißt schon, dieses Steingebäude, das völlig mit Efeu zugewachsen ist«, erklärte May. »Die Seitentür müsste offen stehen. Ich war früher oft dort, wenn ich in Ruhe nachdenken wollte. Und bis jetzt war ich immer ungestört.«
»Ist die Temperatur in Ordnung so? Wenn du lieber einen anderen Sender hören willst, dann schalte einfach um.«
Sarah reagierte nicht. Mit jeder weiteren Minute, die sie neben Emilia in deren schwarzer Dodge Viper saß, wuchs das beklemmende Gefühl in ihr und sie rief sich all die schrecklichen Geschichten und Details ins Gedächtnis, die sie jemals von Dustin über diese Person erfahren hatte.
»Sie hat keine Gefühle mehr, sie ist willkürlich und grausam. Sie verfolgt mich, um mich ins Unglück zu stürzen und dich mit mir. Sie weiß, dass es das Schlimmste für mich wäre, dich leiden zu sehen ...«
Sarah grub ihre Finger so fest in ihren Rucksack, dass ihre Knöchel schmerzten. Sie hielt dieses falsche Geplänkel kaum noch aus. Sie
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