Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
Tränen rannen ihre Wangen hinab, als sie auf ihre Brust deutete. »Ich dachte, er liebt mich, ich dachte, er holt mich zurück, ich wollte doch so gerne wieder leben, aber ... er hat mich belogen, einfach belogen. Und jetzt ... jetzt schlägt mein Herz plötzlich wieder und es tut so schrecklich weh. Es soll aufhören, es soll ruhig sein.«
Henry tastete nach Emilias Brust und spürte, wie aufgeregt und heftig ihr Herz darunter schlug - durch Dustin, durch das Blut dieses Heuchlers. Ein schmerzhafter Stich der Eifersucht fuhr durch Henrys eigene Brust.
»Es wird bald aufhören wehzutun«, flüsterte er. »Bald wird es sich beruhigen und wieder einschlafen. Dann wird der Schmerz vorüber sein.«
»Aber warum hat er das getan, Henry? Wieso hat er mich belogen?« In Emilias Blick lag pure Verzweiflung.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil er gar nicht weiß, was Liebe bedeutet«, murmelte Henry, »vielleicht auch, weil die Vorstellung von Unsterblichkeit zu verlockend für ihn war. Wir werden wohl nie erfahren, was in seinem egoistischen, kranken Hirn vorgegangen ist. Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir war, um dich vor ihm zu beschützen, Emilia. Ich hatte dir geschworen, dich niemals alleinzulassen. Es ist ... meine Schuld, dass es so weit gekommen ist. Aber ich verspreche dir eines, Emilia ...« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und wischte zärtlich ihre Tränen fort. »Er wird bitter bereuen, was er dir angetan hat. Er wird seine gerechte Strafe bekommen, sei dir dessen sicher. Irgendwann wird er größere Schmerzen erleiden als du jetzt.«
Emilia blinzelte Henry aus feuchten grünen Augen an. »Warum? Was hast du vor?«, fragte sie und ihre Stimme klang schon wieder etwas gefasster.
»Ich werde ihn verfolgen«, entgegnete Henry aus tiefster Überzeugung. »Bis ans Ende dieser Welt und bis in alle Ewigkeit.«
Dustin hatte sich ein Zimmer in einem der unscheinbarsten Motels nahe des Canyon Forests gemietet. Er hatte lange darüber nachgedacht, wo er am besten unterkommen könnte, und sich für längere Zeit direkt im Wald zu verstecken war ihm dieses Mal zu riskant erschienen. Sowohl Jonathan als auch Emilia würden ihn dort am ehesten vermuten, und obwohl Dustin davon ausging, dass sein Brief den gewünschten Erfolg haben würde und er zunächst von Jonathans Seite her nichts zu befürchten hatte, musste er nach wie vor vorsichtig sein.
Sein nächstes Ziel würde May sein. Er hatte sie vorhin nicht in ihrem Zimmer aufgefunden und nach dem, was Sarah ihm berichtet hatte, ging Dustin davon aus, dass Jonathan sie irgendwo gefangen hielt. May war immerhin hinter Jonathans wahre Identität gekommen und stand ihm somit im Wege. Dustin hoffte nur, dass sie noch am Leben war und Jonathan nicht einfach kurzen Prozess mit ihr gemacht hatte. Wer es über Jahrzehnte hinweg an Emilias Seite ausgehalten hatte, der war abgebrüht und dem konnte man alles zutrauen.
May war die einzige Person, die Dustin unter Umständen helfen konnte, sich auf den Kampf mit Emilia vorzubereiten. Bisher fehlte ihm noch ein handfester Plan, aber eines war klar: Er musste geschickt vorgehen, wenn er Emilia überführen wollte. Ehrlichkeit und Fairness spielten keine Rolle mehr. Er musste Emilia in eine Falle locken, mit der sie nicht rechnete und aus der sie sich niemals wieder befreien konnte. Töten konnte er sie nicht, aber er würde ihr trotzdem ein Grab schaufeln. Ein ewiges Grab.
»May?«
May schrie vor Schreck auf, als sie jemand an der Schulter berührte. »Dustin? Meine Güte, hast du mich erschreckt.« Sie starrte ihn aus großen Augen an und konnte es kaum fassen, ihn tatsächlich vor sich zu sehen. »Was ... was machst du denn hier?«
»Ehrlich gesagt habe ich dich gesucht, May. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell finden würde. Und vor allem nicht unversehrt, nach all dem, was Sarah mir gestern erzählt hat. Geht es dir gut?«
May erwiderte nichts, sie war immer noch völlig perplex von der unerwarteten Begegnung. Jetzt standen sie sich also wirklich gegenüber, hier, im Treppenhaus des Westtraktes, und musterten sich gegenseitig. Dustin schien ebenso nervös zu sein wie sie selbst, doch sie konnte nicht einschätzen, was genau in ihm vorging. Die Jahre, in denen sie sich einmal nahe gewesen waren, erschienen ihr so weit weg, verdeckt und unkenntlich gemacht von schrecklich vielen Tagen und Ereignissen.
May blickte zu Boden. Sie hielt es nicht mehr aus, ihm in die Augen zu sehen.
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