Blood Shot
längst pensioniert gewesen sein, als Joiner vor zwei Jahren bei Xerxes anfing. Demnach also die Namen. Aber warum?
Ich fragte mich mit zunehmender Unruhe, was mir Caroline verheimlichte. Ich erinnerte mich lebhaft an den Winter, als sie mich bat, eine gegen Louisa erwirkte Räumungsklage aus der Welt zu schaffen. Nachdem ich eine Woche zwischen Gericht und Hausbesitzer hin und her gerannt war, stieß ich auf einen Artikel in der Sun-Times über »Jugendliche, die was aus sich machen«. Er handelte von der strahlenden, sechzehnjährigen Caroline und der Suppenküche, die sie von dem für die Miete bestimmten Geld eröffnet hatte. Das war vor zehn Jahren gewesen. Seitdem hatte ich keinen ihrer Hilferufe mehr erhört, und ich wünschte, ich hätte auch diesmal nein gesagt.
Hin und her gerissen zwischen dem unwiderstehlichen Wunsch, Caroline anzurufen und ihr zu sagen, die Sache sei geplatzt, und dem kindisch neugierigen Verlangen, herauszufinden, was Chigwell so aus der Fassung gebracht hatte, entschloß ich mich, erst einmal abzuwarten. Als ich mich durch den Mittagsverkehr über den Loop in mein Büro gekämpft hatte, fand ich mehrere Nachrichten von Klienten vor - Aufträge, die ich hatte schleifen lassen, während ich mich mit Carolines Fall abrackerte. Ein Brief stammte von einem alten Klienten, der sich um die Sicherheit seiner Computeranlage sorgte. Ich verwies ihn an einen befreundeten Computerspezialisten und nahm die beiden anderen Aufträge in Angriff. Es waren Routinenachforschungen, mein tägliches Brot. Es tat mir gut, etwas zu bearbeiten, bei dem ich sowohl das Problem als auch die Lösung deutlich vor mir sah. Den Nachmittag verbrachte ich mit Aktenwälzen im State of Illinois Building.
Um sieben kehrte ich ins Büro zurück, um die Berichte zu tippen, die immerhin fünfhundert Dollar wert waren. Ich klimperte auf meiner alten Olympia herum, als das Telefon klingelte. Es war fast acht. Jemand hatte sich verwählt. Caroline. Vielleicht Lotty. Nach dem dritten Läuten, kurz bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete, nahm ich ab.
»Miss Warshawski?« Es war die Stimme eines alten Mannes, zerbrechlich und zittrig.
»Ja«, sagte ich.
»Könnte ich bitte mit Miss Warshawski sprechen?« Trotz des Zitterns klang die Stimme zuversichtlich, erfahren im telefonischen Umgang mit Menschen.
»Am Apparat«, erwiderte ich so geduldig wie möglich. Ich hatte nichts zu Mittag gegessen und träumte von Steaks und Whiskey.
»Mr. Gustav Humboldt möchte sich mit Ihnen treffen. Wann käme Ihnen eine Verabredung gelegen?«
»Könnten Sie mir sagen, weswegen er mich sprechen möchte?« Ich verbesserte einen Tippfehler und verschloß das Fläschchen sorgfältig, damit die Korrekturflüssigkeit nicht austrocknete. Im Zeitalter der elektronischen Textverarbeitung ist es schwierig geworden, Dinge wie Korrekturflüssigkeit und Farbbänder aufzutreiben.
»Es handelt sich um eine vertrauliche Angelegenheit. Hätten Sie vielleicht heute abend Zeit oder morgen nachmittag um drei?«
»Einen Augenblick, ich sehe in meinem Terminkalender nach.« Ich legte den Hörer weg und griff nach dem Who's Who im Wirtschaftsleben Chicagos, das auf meinem Aktenschrank lag. Gustav Humboldts Eintrag erstreckte sich über eineinhalb kleingedruckte Spalten. 1904 in Bremerhaven geboren. 1930 emigriert. Präsident und Hauptaktionär der gleichnamigen Chemiewerke, gegründet 1937, Fabriken in über vierzig Ländern, acht Milliarden Dollar Umsatz 1986, Vermögenswerte in Höhe von zehn Milliarden Dollar, Direktor davon, Mitglied hiervon. Hauptgeschäftssitz Chicago. Mitglied des Stadtrats. Natürlich. Am Humboldt Building in der Madison Street, einem der älteren Hochhäuser, das ohne den Schnickschnack der modernen Wolkenkratzer auskam, war ich schon tausendmal vorbeigekommen.
Ich nahm den Hörer wieder auf. »Heute abend um halb zehn, ginge das?«
»Ausgezeichnet, Miss Warshawski. Die Adresse ist das Roanoke Building, zwölfter Stock. Ich werde dem Portier Bescheid sagen, daß er nach Ihrem Wagen Ausschau hält.«
Das Roanoke war ein altes Herrschaftshaus in der Oak Street, eines der sechs oder sieben Gebäude auf dem Streifen zwischen See und Michigan Avenue. Sie waren alle in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts gebaut worden und hatten die McCormicks und Swifts und anderes reiches Gesindel beherbergt. Wenn man heutzutage in der Lage ist, eine Million Dollar in ein Haus zu investieren und mit der britischen Königsfamilie verwandt
Weitere Kostenlose Bücher