Blood Shot
ist, darf man nach ein, zwei Jahren harter Prüfung vielleicht einziehen.
Ich stellte einen neuen Geschwindigkeitsrekord im Zweifingertippen auf und hatte um halb neun alles fertig. Auf Whiskey und Steak würde ich verzichten müssen - ich wollte nicht halb benommen mit jemandem sprechen, der mich für den Rest meines Lebens sanieren konnte -, aber es blieb Zeit genug für Suppe und Salat in dem kleinen italienischen Restaurant an der Wabash Avenue in der Nähe meines Büros. Auf der dortigen Toilette mußte ich feststellen, daß sich mein Haar dank des morgendlichen Nieselregens kräuselte, aber immerhin sah das schwarze Kleid noch sauber und professionell aus. Ich legte ein unauffälliges Make-up auf und holte mein Auto aus der Tiefgarage.
Es war genau halb zehn, als ich unter der grünen Markise des Roa-noke vorfuhr. Der Portier in der passenden grünen Livree neigte höflich den Kopf, als ich ihm meinen Namen nannte. »Ach ja, Miss Warshawski.« Sonore Stimme, onkelhafter Ton. »Mr. Humboldt erwartet Sie. Würden Sie mir freundlicherweise Ihre Schlüssel geben?«
Er führte mich ins Foyer. In den meisten Gebäuden, die heutzutage für die Reichen gebaut werden, findet man Glas und Chrom und riesige Pflanzen und Wandbehäge im Foyer, aber das Roanoke war erbaut worden zu einer Zeit, als Arbeitskräfte noch billig und kunstfertig waren. Der Boden bestand aus einem komplizierten Mosaik, und die hölzerne Wandtäfelung schmückten ägyptisch aussehende Figuren.
Ein alter Mann, ebenfalls in Grün, saß auf einem Stuhl neben einer hölzernen Doppeltür. Er stand auf, als der Portier und ich eintraten.
»Die junge Dame für Mr. Humboldt, Fred. Ich werde Bescheid sagen, daß sie hier ist.«
Fred schloß die Tür auf - kein Fernbedienungsfirlefanz - und führte mich gemessenen Schritts in den Aufzug. Der geräumige Käfig war ausgestattet mit einem Teppich mit Blumenmuster und einer plüschgepolsterten Bank. Ich setzte mich lässig hin und schlug die Beine übereinander, als gehörte persönlicher Aufzugservice zu meinem Alltag.
Der Aufzug öffnete sich, und ich befand mich in einer Halle, die das Foyer eines Herrenhauses hätte sein können. Auf grauweißen Marmorplatten mit rosa Streifen lagen hier und da Brücken, die vermutlich in Persien geknüpft worden waren, zu einer Zeit, als der Großvater des Ayatollah noch ein Säugling war. Bevor ich die Marmorstatue in der linken Ecke inspizieren konnte, öffnete sich eine geschnitzte Holztür mir gegenüber, und ein alter Mann im Stresemann erschien. Er neigte kurz den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. Durch sein spärliches weißes Haar schimmerte rosa die Kopfhaut, die blauen Augen blickten kalt und distanziert. Der Feierlichkeit der Situation angemessen, fischte ich eine Karte aus meiner Tasche und reichte sie ihm wortlos.
»Danke, Miss. Mr. Humboldt wird Sie jetzt empfangen. Wenn Sie mir folgen wollen ... «
Ich erkannte die Stimme. Er war es, der angerufen hatte. Er ging langsam, entweder aufgrund seines Alters, oder weil es die einem Butler gemäße Gangart war, und gab mir dadurch Zeit, seinen vornehmen Rücken zu begaffen. Nachdem wir ungefähr die halbe Länge des Hauses abgeschritten hatten, öffnete er eine Tür und hielt sie mir auf. Mein Blick fiel auf drei mit Büchern bedeckte Wände, eine opulente Garnitur aus rotem Leder vor einem Kamin in der vierten Wand, und messerscharf schloß ich, daß wir uns in der Bibliothek befanden. Vor dem Kaminfeuer saß in eine Zeitung vertieft ein rüstiger, stämmiger, aber nicht korpulenter Mann. Als die Tür aufging, legte er die Zeitung beiseite und stand auf.
»Miss Warshawski, wie nett von Ihnen, daß Sie so kurzfristig für mich Zeit gefunden haben.« Er hielt mir eine kräftige Hand entgegen. »Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Humboldt.«
Er bat mich, in einem Ledersessel ihm gegenüber Platz zu nehmen. Aus dem Eintrag in Who's Who wußte ich, daß er vierundachtzig war, aber er hätte sein Alter mit sechzig angeben können, ohne daß jemand mißtrauisch geworden wäre. Sein dichtes Haar war an manchen Stellen noch blaßgelb, und seine blauen Augen in dem nahezu faltenlosen Gesicht blickten wach und klar.
»Anton, bringen Sie uns Cognac - Sie trinken doch Cognac, Miss Warshawski? -, und dann können wir uns in Ruhe unterhalten.«
Der Butler verschwand für ungefähr zwei Minuten, während sich mein Gastgeber höflich danach erkundigte, ob es mir am Feuer nicht zu warm sei. Anton kehrte mit einer
Weitere Kostenlose Bücher