Blood Shot
sie dir wahrscheinlich schon erzählt hat, hat sie mich gestern gefeuert.«
Bobby kniff seine blauen Augen zusammen. »An deiner Geschichte scheint was Wahres dran zu sein. Ich wünschte nur, ich wüßte, wieviel.«
»Ich hätte mir denken können, daß es keinen Zweck hat, ehrlich mit dir zu reden«, sagte ich bitter. »Du hast die Unterhaltung ja schon mit einer Anklage begonnen.«
»Bleib auf dem Teppich, Vic. Und übrigens würde deiner Küche etwas mehr Sauberkeit nicht schaden. Sieht ja aus wie ein Schweinestall.«
Als sie sich verabschiedet hatten, ging ich ins Schlafzimmer, um mich wieder in das schwarze Kleid zu zwängen. Draußen auf dem Gehsteig bildete das Regenwasser bereits kleine Bäche. Ich zog Turnschuhe an und steckte schwarze Pumps in meine Tasche.
Obwohl ich den großen Regenschirm aufspannte, waren meine Beine und Füße nach der kurzen Strecke bis zum Auto völlig naß. Normalerweise lag um diese Jahreszeit - Februar - ungefähr ein halber Meter Schnee, deshalb versuchte ich, meinen Ärger im Zaum zu halten. Die Heizung des kleinen Chevy konnte nicht viel gegen die beschlagene Windschutzscheibe ausrichten, aber zumindest sprang der Motor an, im Unterschied zu vielen anderen Autos, an denen ich vorüberfuhr. Der Wind und die stehengebliebenen Autos behinderten die Fahrt nach Süden; es war fast zehn, als ich vom Highway 41 in die Zweiundneunzigste Straße abbog. Als ich endlich einen Parkplatz Ecke Commercial Avenue gefunden hatte, ließ der Regen nach. Ich konnte getrost die Pumps anziehen.
Die SCRAP-Büros befanden sich im zweiten Stock eines Gebäudes, das hauptsächlich kleine Läden beherbergte. Ich ging um die Ecke zum Hintereingang - die Praxis meines Zahnarzts war hier gewesen. Auf einem Treppenabsatz blieb ich stehen und las die Namen auf den Schildern, während ich mich kämmte und mein Kleid zurechtzog. Einen Dr. Zdunek gab es nicht mehr, genausowenig wie viele frühere Mieter; auf dem Weg den Flur entlang kam ich an mindestens einem Dutzend leerstehender Räume vorbei.
Dann betrat ich ein Büro, in dem die unverwechselbare Atmosphäre eines nicht profitorientierten Unternehmens herrschte. Im Licht einer fürchterlich flimmernden, nackten Glühbirne wankten verschrammte Metallmöbel, und die Wände waren mit Zeitungsartikeln vollgepinnt. Akten und Telefonbücher lagerten auf dem Boden, und von den elektrischen Schreibmaschinen, die herumstanden, sei nur soviel gesagt, daß sie schon nicht mehr hergestellt wurden als ich noch in die Schule ging. Eine junge schwarze Frau tippte und telefonierte gleichzeitig. Sie lächelte mir zu, bat mich mit einem Zeichen um Geduld. Aus dem angrenzenden Raum drangen Stimmen. Ich ging einfach weiter und sah hinein.
Fünf Personen, vier Frauen und ein Mann, saßen an einem wackligen Verhandlungstisch, Caroline, die fieberhaft sprach, in der Mitte. Als sie mich bemerkte, hielt sie inne und errötete bis zu den Wurzeln ihres kupferroten Haars. »Vic! Wir haben gerade eine Besprechung. Kannst du einen Augenblick warten?«
»Den ganzen Tag warte ich auf dich, meine Liebe. Ich brauche ein Tete-ä-tete mit dir. John McGonnigal war heute morgen da, in aller Herrgottsfrühe.«
»John McGonnigal?« Sie legte ihre Nase fragend in Falten.
»Sergeant McGonnigal. Von der Chicagoer Polizei«, sagte ich hilfsbereit.
Sie wurde noch röter. »Ach, der. Dann reden wir vielleicht besser sofort. Entschuldigt mich bitte.«
Sie führte mich in eine kleine Kammer. Verglichen mit dem Chaos aus Büchern, Akten, Tabellen, alten Zeitungen und Schokoladenpapier, das dort herrschte, sah mein Büro wie eine Klosterzelle aus. Caroline nahm ein Telefonbuch von einem Klappstuhl und setzte sich selbst auf den klapprigen Drehstuhl hinter ihrem Schreibtisch. Sie faltete nervös die Hände, sah mich aber trotzig an.
»Caroline, ich kenne dich seit sechsundzwanzig Jahren, und du hast mich schon öfter auf eine Weise ausgetrickst, die Oliver North die Schamröte ins Gesicht treiben würde. Aber was du dir jetzt geleistet hast, das schlägt dem Faß den Boden aus. Mit Gejammer und Geschniefe hast du mich dazu gebracht, nach deinem Vater zu suchen. Dann hast du mir grundlos gekündigt. Der Gipfel aber ist, daß du die Polizei angelogen hast, was meine Verbindung mit Nancy betrifft. Kannst du mir erklären, warum? Ohne zu Hans Christian Andersen Zuflucht zu nehmen?« Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht zu schreien.
»Weswegen schwingst du dich schon wieder aufs hohe Roß?«
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