Blood Sun
Buchstaben bestand: MW . Sie war von Sayid. Max hatte ihm gesagt, er solle nicht anrufen, sondern eine Nachricht auf der Internetseite DTY P – Don’t Tell Your Parent s – hinterlassen und dort die von Max gewünschten Informationen verpacken. Falls jemand Max’ Computer durchsuchen sollt e – und er war überzeugt davon, dass die Behörden dies bereits tate n –, würde man nicht viel finden. Nur die Sachen, die er über Lionel Blacker, den auf Südamerika spezialisierten Professor an der Universität Oxford, runtergeladen hatte. Über den Mann, der an der Dartmoor High einen Vortrag zum Thema Quipus gehalten hatte.
Es war bloß eine Frage der Zeit, bevor man den Hinweisen auf den Oxford-Professor nachgehen würde. Wie viele Minuten oder Stunden blieben ihm noch? Der Mann, mit dem er reden wollte, befand sich nur eine Straße von dem Café entfernt, wo Max sich den letzten Bissen des sättigenden Sandwiches in den Mund stopfte. Inzwischen war es dunkel geworden und er musste sich einen Schlafplatz besorgen, aber er hielt es für zu riskant, sich ein Hotelzimmer in der Stadt zu nehmen. Wenn in den nächsten Stunden alles nach Plan verlief, würde er zum Flughafen fahren und dort auf einer Bank übernachten.
»Gibt es hier in der Nähe ein Internetcafé?«, fragte er die Verkäuferin, die jetzt übertrieben sorgfältig seinen Tisch abwischte.
»Zweite Straße links, der schmuddelige Laden an der Ecke.«
Das Internetcafé hieß Skunk Alley. Dort gab es zehn Computer auf schmierigen Plastiktischen. Um einen zu benutzen, musste man zwei Pfund zahlen. Das Mädchen, dem er das Geld gab, hatte einen Schimmer in den Augen, der Max sagte, dass es wahrscheinlich noch etwas anderes als die Autoabgase der Stadt inhaliert hatte.
MW stand für Magician’s Web . Da würde er Sayids Nachricht abholen können. Er klickte auf das explodierende Stern-Logo, setzte die Kopfhörer auf und sah plötzlich Sayids Gesicht auf dem Monitor.
Sein Freund klang aufgeregt. Die Verbindung war nicht gut, das Bild verwackelt und der Ton mal laut, mal leise, aber Max erfuhr alles, was er wissen wollte.
»Die Tickets sind gebucht. Zu diesem Video gehören zwei Dateianhänge. Eine MI5-Agentin war da und hat uns befragt. Die war schrecklich. Sie heißt Charlie Morgan. Jung, kurze schwarze Haare mit lila und roten Strähnchen, Nasenstecker, Gruftischmuck. Könnte glatt in einem Zombie-Film mitmachen. Gruslig. Sie hat mir und Mum gedroht.«
Max bat seinen Freund stumm um Verzeihung. Extremisten hatten Sayid und seiner Mutter schon sehr viel Leid zugefügt. Er hasste die Vorstellung, dass ein britischer Agent zu solchen Verhörmethoden griff, aber das war die Realität, nicht irgendein Fantasy-Computerspiel. So machen das die Erwachsene n – sie kannten keine Skrupel, wenn sie etwas erreichen wollten.
»Also habe ich ihnen deinen Laptop gegeben. Alles andere läuft, wie du es dir vorgestellt hast. Der Mann, den du besuchen willst, erwartet dich heute Abend. Ich habe ihn angerufen. Er ist cool. Macht einen netten Eindruck. Die Briefe habe ich auch für dich geschriebe n – sie waren auf deinem Laptop, als sie ihn mitgenommen haben.« Sayid schob sein Gesicht näher an die Webcam heran, als wollte er Max etwas zuflüstern. »M r Jackson ist mit den Nerven völlig am Ende. Er meint, er hat dich im Stich gelassen, weil er deine Flucht nicht vorausgesehen und verhindert hat. Ich habe nichts gesagt, kann ich doch nicht, oder? Denn wenn ich was sage, wird Charlie mich erpressen. Ich habe ihm erzählt, ich wüsste nichts davon, dass du den Safe geknackt hast. Ich stelle mich dumm. Mach dir keine Sorgen.«
Sayid schwieg kurz, dann fuhr er fort: »Max, ich weiß nicht, ob das alles funktioniert. Vielleicht wartet sie schon auf dich.« Er nickte Max zu, reckte den Daumen in die Höhe und lächelte tapfer. Dann kam seine Hand nach vorn und machte die Webcam aus.
Jetzt musste Max nur noch zu dem Mann, der ihn erwartete und der das Quipu hoffentlich entschlüsseln konnte.
Auf einmal war Max sehr optimistisch. Bald würde er sicher mehr über Danny Maguire und dessen Beziehung zu seiner Mum erfahren.
Charlie Morgan hielt sich auf der Strecke nach Oxford an keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein paar gut platzierte Anrufe hatten ihr den Weg auf den Autobahnen frei gemacht. Frustrierte Verkehrspolizisten sahen sie vorbeirasen, mussten sich aber eingestehen, dass sie sowieso kein Auto hatten, das schnell genug gewesen wäre, sie einzuholen.
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