Blood Sun
Bewegung brechen. »Deine Mutter war krank, furchtbar kran k …« Er sprach weiter, während er sich mit aller Kraft zu erinnern versuchte. »Der Dschungel hat sie verschluckt, ich habe Tage gebraucht, bis ich die Küste erreichte, wo unsere Leute mich abgeholt haben.«
»Die Organisation, für die du gearbeitet hast? Wussten die, was mit Mum geschehen war? Dad, bitte! Sag mir, was passiert ist!«
»Ich habe versucht, sie zu rette n … ich weiß nicht meh r … ic h … ich bi n …«
»Du bist weggelaufen?« Max konnte es nicht ertragen. Farentino hatte also gar nicht gelogen.
»Weggelaufen. Ja. Ich bin weggelaufen. Durch den Dschungel. Weggelaufen«, sagte sein Vater hastig, als sähe er das alles vor seinem inneren Auge. Überraschung und Furcht schwangen in seinen Worten mit. Er schlug sich die zitternden Hände vors Gesicht. Ein leises Stöhnen drang aus seiner Kehle, dann winselte er wie ein verwundetes Tier, schließlich brach er zusammen.
»Dad«, flüsterte Max und sank vor ihm auf die Knie. Er konnte die Tränen kaum zurückhalten, so sehr ängstigte ihn der Schwächeanfall seines Vaters. Max umklammerte seine Hände wie ein Kind, das darum bettelt, nicht von den Eltern fortgerissen zu werden.
»Bitte, Dad, nicht weinen. Alles ist gut. Alles wird gut.«
Tom Gordon fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Tränen waren getrocknet und er starrte den Jungen vor sich mit funkelnden Augen an. »Wer bist du, verdammt noch mal? Wieso fragst du mich nach meiner Frau?«
Er kannte seinen eigenen Sohn nicht mehr.
Max kam sich vor, als wäre er gerade über Bord gefloge n – das Schiff fuhr weiter und ließ ihn ganz allein und hilflos in der unermesslichen Weite des Meeres zurück. Ein Schmerz durchzuckte seine Muskeln. Max stand hastig auf. Er und sein Vater glichen plötzlich zwei Männern, die sich in einer dunklen Gasse begegneten und einander nicht vorbeilassen wollten.
»Du stellst zu viele Fragen! Ich kenne dich nicht!«
»Dad! Lass das! Bitte! Hör doch auf damit! Du machst mir Angst!«, schrie Max seinem Vater ins Gesicht.
Tom Gordons Hand schoss nach vorne und packte ihn grob an der Jacke. Diese Seite seines Dads hatte Max nur sehr selten erleb t – den Kämpfer, der entschlossen auf eine Bedrohung reagierte.
Bevor Max etwas tun oder sagen konnte, kam Marty Kiernan ins Zimmer gestürzt, stellte sich hinter Max’ Dad und schlang den Arm um ihn herum. Tom Gordon sträubte sich kurz, doch Marty flüsterte auf ihn ein, bis er sich beruhigt hatte. »In Ordnung? Ja? Alles wieder in Ordnung, Tom?«, fragte er schließlich etwas lauter.
Tom Gordon nickte. Marty ließ ihn los und führte ihn zum Sofa, wo er sich niederlegte, als müsste er sich von einer entsetzlichen Strapaze erholen.
»Was ist passiert, Max?«, fragte Marty. »Was hast du zu ihm gesagt?«
»Ich wollte nur etwas über meine Mum wissen. Ob er versucht hat, sie zu retten.«
»Natürlich hat er das. Er ist dein Dad. Er würde Himmel und Erde in Bewegung setzen, um seiner Familie beizustehen.«
Martys Worte konnten die entsetzlichen Bilder in Max’ Kopf nicht vertreiben. Wie Blutegel klebten sie an ihm und saugten die Liebe für seinen Vater aus ihm heraus.
»Er ist weggelaufen, um seine eigene Haut zu retten!«, schrie Max.
»Nicht so laut! Vergiss nicht, wo du bist. Und jetzt hör mir zu, Junge! Dein Dad ist noch nie vor etwas weggelaufen. Er ist einer der mutigsten Männer, die ich jemals kennengelernt habe, und ich kenne eine ganze Menge. Du darfst nicht denken, dass dein Vater so etwas getan hat. Bestimmt hast du was falsch verstanden.«
Marty hatte ihm sanft die Hand auf die Schulter gelegt, aber Max trat einen Schritt zurück. Er nahm seinen Rucksack und schob die Terrassentür auf.
»Marty, er hat es mir erzählt! Er ist weggelaufen! Farentino hat die Wahrheit gesagt. Mein Dad ist weggelaufen und hat meine Mum sterben lassen.«
»Niemals! Dein Dad ist verwirrt. Sein Gedächtnis funktioniert nicht mehr richti g – das weißt du. Warte!«
Max ignorierte Marty und rannte los. Dabei kümmerte er sich nicht darum, dass man ihn auf dem Rasen sehr gut sehen konnte.
Marty schaute erst nach seinem Patienten. Tom Gordon hatte sich auf die Seite gelegt und die Augen geschlossen. Er atmete tief und gleichmäßig. Dann nahm der Pfleger die Verfolgung auf. Er konnte den Jungen nicht gehen lassen, ohne mit ihm noch einmal über dessen Vater zu reden.
Max erreichte die ersten Bäume; bis zur Mauer waren es noch sechzig,
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