Blood Target: Thriller (German Edition)
irgendwie aufgepeppt. Seine Augen, die noch dunkler waren als seine Haare, gaben nichts von seiner Persönlichkeit preis, abgesehen vielleicht von einer gelassenen Wachsamkeit und einem scharfen Intellekt. Frau Dr. Margaret Schule, die sich auf ihre Menschenkenntnis durchaus etwas zugutehielt, fand ihn ausgesprochen faszinierend.
Sie untersuchte die operierte Stelle. »Haben Sie Schmerzen?«, erkundigte sie sich.
Der Patient schüttelte den Kopf.
»Und wenn ich so mache?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Wunderbar, das ist ganz ausgezeichnet. Ich freue mich sehr.«
Frau Dr. Schule zog die Latexhandschuhe aus, knüllte sie zusammen, trat auf einen Fußhebel und ließ den Abfalleimer aufklappen. Dann warf sie die Handschuhe hinein. Der Eimer war der einzige Einrichtungsgegenstand, der erkennen ließ, dass es sich um ein ärztliches Behandlungszimmer handelte. Er war genauso notwendig wie unangenehm, darum hatte sie ihn in eine Ecke geschoben, wo er am wenigsten auffiel und das sorgfältig komponierte Ambiente so wenig wie möglich stören konnte.
Ihre Praxis lag im zweiten Stock einer Wiener Stadtvilla aus dem späten 18. Jahrhundert. Sie hatte einst einem Dirigenten des Königlichen Orchesters während der Zeit Mozarts gehört. Frau Dr. Schule ließ keine Gelegenheit aus, ihren Patienten davon zu berichten. Bunt gemusterte, türkische Teppiche bedeckten den größten Teil des dunklen, gemaserten Holzbodens. Teppichboden kam aus hygienischen Gründen nicht infrage. An den Wänden hingen klassische Landschaftsgemälde. Die Möblierung bestand fast ausschließlich aus barocken Antiquitäten, abgesehen von dem ergonomischen Schreibtischsessel, in dem Frau Dr. Schule einen Großteil ihrer Zeit verbrachte.
»Kann ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?«, fragte sie ihren Patienten.
»Nein, danke.«
Schule setzte sich wieder und legte die Unterarme auf die mächtige Schreibtischplatte. Dabei musterte sie den Mann vor ihr gründlich. Er erwiderte ihren Blick mit der freundlichen und doch neutralen Miene, die er immer aufgesetzt hatte. Er plauderte nicht. Er zappelte nicht. Er langweilte sich nicht. Er war nicht nervös. Er gab nichts von sich selbst preis und saß ihr gegenüber, als gäbe es über ihn nicht das Geringste zu wissen. Frau Dr. Schule war sich da nicht so sicher.
Der Besuchersessel, auf dem er Platz genommen hatte, stand nicht da, wo er hingehörte. Sie registrierte die Veränderung sofort, wie jedes Mal, wenn der Mann in ihre Sprechstunde gekommen war. Ihr Leben war von dem unbedingten Bedürfnis bestimmt, dass sich jedes Ding immer an Ort und Stelle befand. Wenn er weg war, würde sie den Stuhl wieder gerade rücken, sodass er exakt ausgerichtet vor dem Schreibtisch stand. Dann konnte sie den Patienten von ihrem Platz aus direkt in die Augen blicken, ohne ihren Stuhl, der ebenfalls genau im rechten Winkel zur Tischplatte stand, drehen zu müssen, so wie sie es jetzt tat und dabei das sorgsam austarierte Gleichgewicht des Zimmers zerstörte. Am liebsten war es ihr, wenn ihr eigener Stuhl und der Besuchersessel genau parallel zur Tür an der hinteren Wand ausgerichtet waren. Sie mochte Ordnung. Sie mochte gerade Linien.
In der Krankenakte war der Wohnsitz des Patienten mit Brüssel angegeben, aber die Akte begann erst mit dem Tag, als der Patient zum ersten Mal ihre Praxis betreten hatte. Das war vor mehreren Monaten gewesen. Sie hatte keinerlei Angaben erhalten, die sich auf die Zeit davor bezogen. Das fand sie zwar ein wenig seltsam, aber nicht ungewöhnlich. Frau Dr. Schule war sich darüber bewusst, dass sie zu den angesehensten Schönheitschirurgen des gesamten Planeten gehörte. Ihre Kundschaft reichte von den hellsten und schönsten Sternen Hollywoods über die Mitglieder etlicher europäischer Königshäuser bis zu den Frauen einiger superreicher Russen. Ihre Kundschaft erwartete keine Diskretion, die verlangte sie. Niemand in ihrer Praxis stellte Fragen, die die Kunden nicht beantworten wollten. Der Mann, der ihr gegenübersaß, sah nicht aus wie ein Filmstar oder ein Prinz, aber wenn er sich ihre Honorare leisten konnte, musste er genauso wohlhabend sein … oder aber ausgesprochen eitel.
Frau Dr. Schule bot nicht nur die üblichen Schönheitsoperationen wie Nasenkorrekturen, Gesichtsstraffungen oder Fettabsaugungen an, sondern war auch auf dem Gebiet der Narbenreduktion führend. Sie hatte schon überall auf der Welt geforscht und gelehrt und konnte sich vor Anfragen kaum retten. Der Großteil
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