Blood Target: Thriller (German Edition)
die zwischen ihm und Victor standen. Und da Victor ähnlich groß war, hatte er immer freie Sicht, es sei denn, er ging bewusst in Deckung.
Kooi war keineswegs unaufmerksam, aber er war ein Tourist und hatte nur ein Minimum an Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Aber das Minimum war für Victor noch nie ein Problem gewesen. Er seinerseits war vorsichtiger, und Kooi hatte nicht einmal den Hauch einer Ahnung, in welcher Gefahr er sich befand. Natürlich hatte er Victor bemerkt – er war gut , und ein Mann von Victors Größe und Hautfarbe musste in Algier auffallen –, aber gerade, weil er nur gut war und nicht herausragend , hielt er Victor lediglich für einen anderen Touristen. Das wusste Victor, weil Koois Verhalten sich nicht verändert hatte. Denn jemand, dem plötzlich klar geworden ist, dass ihm ein Profikiller im Nacken sitzt, benimmt sich zwangsläufig anders als vor dieser Erkenntnis.
Da der Holländer in seiner Freizeit nur mangelhafte Vorsicht walten ließ, wusste Victor, dass Kooi nicht denselben Lernprozess durchlaufen hatte wie er selbst. Der Beweis dafür war die Tatsache, dass er immer noch atmete. Er beneidete Kooi nicht um seine vergleichsweise behütete Existenz, weil diese Existenz in Kürze ihr Ende finden würde.
»Mister«, ertönte in diesem Moment eine Stimme auf Englisch, aber mit starkem Akzent. »Du kaufen Uhr.«
Rechts von Victor stand ein junger Einheimischer. Ein breites Lächeln enthüllte seine Zahnlücken. Er war leuchtend bunt gekleidet. Schwarze Haare standen in widerspenstigen Büscheln von seinem Schädel ab. Die aufgekrempelten Hemdsärmel gaben den Blick auf seine mageren Unterarme frei, die mit zahlreichen Armbanduhren bestückt waren. Allesamt Fälschungen, oder aber das Bürschchen besaß Waren im Wert von etlichen Hunderttausend Dollar und konnte sich trotzdem keine Zahnbürste leisten.
»Nein, danke«, sagte Victor und schüttelte den Kopf so übertrieben heftig, wie es notwendig war, um die Händler hier dazu zu bringen, ihr Glück irgendwo anders zu versuchen.
Aber er schien es gar nicht zu registrieren. »Hier, ich haben Tag Aua, Rolax, alle schöne Uhr. Kucken, hier kucken.«
»Nein«, wiederholte Victor, ohne den Blick von Kooi zu nehmen, der gerade eine Holzfigur in jeder Hand hielt und allem Anschein nach überlegte, welche von beiden er nehmen sollte. Dann war die Entscheidung gefallen. Kooi gab dem Händler ein paar Geldscheine. Dabei nickte und lächelte er ununterbrochen. Entweder freute er sich über seine Erwerbung oder aber die Schnellfeuer-Verkaufsstrategie des Händlers amüsierte ihn. Er ließ die Figur in eine Seitentasche seiner Kakishorts gleiten.
»Kucken, kucken«, sagte das Bürschchen mit den Armbanduhren ungefähr zehn Dezibel lauter als zuvor und fuchtelte mit beiden Armen vor Victors Nase herum.
Victor bedeutete ihm, dass er sich für die Uhren interessierte, weil er verhindern wollte, dass der Einheimische noch mehr Aufmerksamkeit auf sich und ihn lenkte. Bei dem Geräuschpegel konnte Kooi zwar sicherlich nichts hören, aber womöglich sah er den jungen Mann mit den Armen fuchteln oder registrierte das Glitzern der Armbanduhren in der Sonne.
»Die da«, sagte Victor und deutete auf eine Rolex, deren Zeiger sich nicht bewegten.
Ein zahnloses Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Verkäufers aus, und er löste die Uhr von seinem Arm, während Victor ihm ein paar Scheine hinblätterte.
»Nein, nein«, sagte der Einheimische. »Nix genug. Mehr, mehr.«
Victor gönnte ihm noch einen Schein, wie es unter Feilschenden eben üblich war. Ganz egal, wie viel er ihm auch anbot, der Händler würde immer mehr verlangen.
Er machte seine Ramsch-Rolex am Handgelenk fest und setzte sich wieder in Bewegung. Kooi hatte inzwischen noch fünf Meter mehr Abstand gewonnen.
»Bye, Mister«, rief der junge Einheimische ihm hinterher. »Du haben schöner Tag.«
Kooi ließ sich Zeit und schlenderte im Kreis über den Markt, allerdings nicht aus taktischen Erwägungen, sondern schlicht und einfach, um das Spektakel möglichst ausführlich genießen zu können. Gelegentlich blickte er sich nach links und rechts um, aber Victor hielt sich direkt hinter ihm. Kooi müsste sich einmal um hundertachtzig Grad drehen, um ihn überhaupt zu registrieren. Dadurch würde Victor genügend Zeit bleiben, um abzutauchen.
Jetzt bog Kooi in eine gewundene kleine Gasse ein, wo vor allem Stoffe und Kleidung verkauft wurden. Er blieb zwar nirgendwo stehen, ging aber langsam
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