Blood Target: Thriller (German Edition)
konnten, aber für Parkbesucher lag die Haltestelle ziemlich günstig. Victor war vermutlich einer der wenigen Menschen hier in der Gegend, vielleicht sogar in der ganzen Stadt, für den der Bus das ideale Fortbewegungsmittel in einem städtischen Umfeld darstellte. Er führte ein Leben unter dem Deckmantel einer ganzen Reihe falscher Identitäten, die er so gut wie möglich schützen wollte. Darum scheute er den Papierkram, der notwendig war, um ein Auto zu kaufen oder zu mieten. Und einen Wagen zu stehlen bedeutete ein unnötiges Risiko, das er nur dann einging, wenn es absolut keine andere Möglichkeit mehr gab. Außerdem war ein Auto immer auch eine Falle. Zum einen schränkte es die Bewegungsfreiheit ein, und außerdem war er beim Autofahren gezwungen, sich auf die Straße zu konzentrieren. In der U-Bahn war das zwar nicht der Fall, und er konnte seine Konzentration auf seine Umgebung richten, aber er war dreißig Meter unter der Erde eingesperrt. Im Gegensatz dazu hatte er im Bus immer alles im Blick und konnte jederzeit problemlos aus- und einsteigen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Als erste Maßnahme zum Schutz vor möglichen Verfolgern hatte er vor, mit dem Bus zu fahren, allerdings nicht von der Haltestelle gegenüber der Praxis aus. Dort hatten sich bereits ein paar Wartende versammelt – drei untersetzte Männer in Anzügen, ein älteres, Händchen haltendes Paar, ein junger Mann mit Baseballmütze und eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Jetzt kamen zwei Busse gleichzeitig angefahren. Alle standen auf oder traten ein paar Schritte nach vorn und bildeten eine Art Warteschlange.
Bis auf den Mann mit der Mütze.
Victor verlangsamte seine Schritte und hielt den Blick auf den Bericht der Ärztin gerichtet, den er noch in der Hand hielt. Die Busse hielten direkt hintereinander an. Eine Minute später fuhren sie weiter. Der zweite Bus schob sich vor den ersten, da die beiden Linien fast die gleiche Strecke befuhren und die meisten Wartenden den ersten Bus bestiegen hatten, um sich die wenigen Meter bis zum zweiten Bus zu sparen.
Nachdem die Busse sich wieder in den fließenden Verkehr einsortiert hatten, war die Bushaltestelle leer.
Bis auf den Mann mit der Mütze.
Er trug Wanderstiefel, eine Jeans und ein sportliches Sakko. Die Kabel seiner Ohrstöpsel verschwanden unter dem Sakko. Das Mützenschild verdeckte seine Augen. Die Mütze hatte auch ein Logo, aber Victor wusste nicht, was es bedeutete. Die Mütze war dunkelblau und das Logo schwarz. Das Sakko war grau, die Jeans verwaschen, aber dunkel. Die Wanderstiefel waren braun.
Er sah aus wie Ende zwanzig, aber es war schwer zu sagen, da sein Gesicht zur Hälfte von der dunkelblauen Mütze verdeckt wurde. Er war weder besonders groß noch besonders klein. Trug gewöhnliche Kleidung. Die meisten Menschen hätten ihn kein zweites Mal angesehen, vorausgesetzt, sie hätten ihn überhaupt wahrgenommen. Aber er hatte die einzigen beiden Busse, die an dieser Haltestelle hielten, wegfahren lassen. Gleichzeitig stand keine zehn Meter von ihm entfernt eine freie Bank, auf der man sehr viel bequemer saß als auf den schmalen Plastikschalen an der Bushaltestelle.
Victor wechselte die Straßenseite, sodass er jetzt auf derselben Seite war wie der Mann mit der Mütze, und wandte sich nach Westen. Er drehte sich nicht um: Entweder blieb der Mann sitzen und war daher keine Gefahr, oder er ging jetzt ebenfalls in Richtung Westen. Dann hätte Victor nichts davon gehabt, ihn wissen zu lassen, dass er etwas gemerkt hatte.
Nach hundert Metern zweigte der Bürgersteig im rechten Winkel ab und führte am Parkrand entlang. Victor stellte sich jedoch zu ein paar anderen Fußgängern, die die Straße überqueren wollten und auf das grüne Signal der Fußgängerampel warteten. Falls der Mann mit der Mütze hinter ihm war, dann war er jetzt langsamer geworden oder vielleicht ganz stehen geblieben, um ausreichend Abstand zu wahren. Auch jetzt gab es keinen Grund, sich umzusehen.
Victor sah die ersten Autos langsamer werden und betrat die Straße schon etliche Sekunden, bevor die Ampel auf Grün sprang. Die anderen taten es ihm nach. Er ging zügig – einfach ein Mann, der nicht gerne wartete. Wenn der Mann mit der Mütze allein war, dann würde er sich jetzt beeilen, um die Lücke zu schließen. Schließlich wollte er nicht auf der anderen Straßenseite hängen bleiben, wenn die Ampel wieder auf Rot sprang.
Als Victor die Straße überquert hatte, wandte er sich nach links.
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