Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
nicht so richtig was für mich. Ich wusste nicht, wie Brayden dazu stand, und hatte Angst, dass er vielleicht ebenfalls tanzen wollte.
»Klar«, antwortete er und wirkte erleichtert, ein Ziel zu haben. Irgendetwas sagte mir, dass er genauso viele Bälle besucht hatte wie ich: kaum welche.
Der Punsch lieferte uns einen guten Grund, das Thema Zucker versus künstlichen Süßstoff anzuschneiden, aber ich war nicht mit dem Herzen bei der Sache. Etwas anderes machte mir zu große Sorgen. Brayden hatte kein Wort über mein Kleid verloren, und das machte mich besorgt. War er jetzt ebenso schockiert darüber wie ich vorhin? Hielt er höflich seine wahren Gedanken zurück? Ich konnte kaum Komplimente erwarten, wenn ich keine machte, also beschloss ich, die Initiative zu ergreifen.
»Dein Kostüm ist großartig«, sagte ich. »Das stammt von der Theatergesellschaft, nicht wahr?«
»Ja.« Er sah an sich herunter und strich die Stoffbahnen seiner Tunika glatt. »Natürlich nicht ganz stilecht, aber es wird schon reichen.« Die Tunika war knielang, an einer Schulter befestigt und bestand aus sehr leichter, gebrochen weißer Wolle. Darüber trug er ein Wollcape in einem Dunkelbraunton, das genau in die Epoche passte. Selbst mit dem Cape waren ein großer Teil seiner Arme und seiner Brust entblößt, und es zeigte sich der leicht muskulöse Körper eines Läufers. Ich hatte ihn immer für süß gehalten, aber erst in diesem Augenblick begriff ich, dass er tatsächlich auch heiß sein könnte. Ich erwartete, dass der Gedanke ein stärkeres Gefühl in mir auslösen würde, aber nichts geschah.
Er wartete darauf, dass ich etwas sagte. »Meins ist auch nicht ganz, ähm, stilecht.«
Brayden musterte das rote Kleid auf eine sehr klinische Weise. »Nein«, stimmte er mir zu. »Ganz und gar nicht. Na ja, der Schnitt liegt nicht so weit daneben.« Er überlegte noch einige Sekunden. »Aber ich finde, dass es trotzdem sehr hübsch an dir aussieht.«
Ich entspannte mich etwas. Aus seinem Mund klang sehr hübsch nach einem hohen Lob. Während er sich über jedes andere Thema weitschweifig äußern konnte, geizte er im Hinblick auf Gefühle mit Worten. Mehr als ein simples Festellen der Tatsachen hätte ich nicht erwarten sollen, daher war seine Äußerung schon eine große Sache.
»Donnerwetter, Melbourne! Wo hast du dich versteckt?« Trey kam herübergeschlendert und füllte sich großzügig einen Becher mit fluoreszierendem grünem Punsch. »Du siehst umwerfend aus. Und richtig heiß.« Er warf Brayden einen entschuldigenden Blick zu. »Versteh das nicht falsch. Ich sage nur, wie es ist.«
»Versteh schon«, erwiderte Brayden. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Trey hatte sich während des letzten Tages oder so in meiner Nähe etwas merkwürdig verhalten, daher war es nett zu sehen, dass er jetzt zu seiner gewohnten Form zurückgefunden hatte.
Er warf mir noch einen bewundernden Blick zu, dann wandte er sich wieder Brayden zu. »He, sieh doch mal! Wir haben uns beide für Togen entschieden. Rom über alles!« Er hielt die Hand zu einem High Five hoch, aber Brayden ging nicht darauf ein.
»Das ist ein griechischer Chiton«, erklärte er geduldig. Er musterte Treys selbstgemachte Toga, die verdächtig danach aussah, ursprünglich mal ein Bettlaken gewesen zu sein. »Das ist deine, ähm, nicht.«
»Griechisch, römisch.« Trey zuckte die Achseln. »Wo ist da der Unterschied?«
Brayden öffnete den Mund, und ich wusste, dass er im Begriff stand, den Unterschied genau zu erklären. Hastig ging ich dazwischen. »Die steht dir gut«, sagte ich zu Trey. »Sieht so aus, als hätten sich die vielen Stunden Gewichtheben ausgezahlt – und ich kann endlich die Tätowierung sehen.«
Wie Braydens Tunika war auch die von Trey über eine Schulter drapiert und ermöglichte einen Blick auf den unteren Teil seines Rückens. Wie die Hälfte der Schule hatte auch Trey eine Tätowierung. Im Gegensatz zu den Übrigen war seine jedoch nicht Teil der berauschenden, finsteren Tätowierungen aus Vampirblut. Trey hatte eine Sonne mit stark stilisierten Strahlen. Sie war mit normaler, dunkelblauer Tätowiertinte gestochen. Eddie hatte mir davon erzählt, aber ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, da Trey in meiner Nähe normalerweise nicht mit freiem Oberkörper auftauchte.
Etwas von Treys Begeisterung schwand dahin. Er drehte sich leicht zur Seite und hielt den Rücken von uns weg. »Na ja, ziemlich schwach im Vergleich zu deiner. Übrigens,
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