Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
müsse, aber seine Worte ließen mich erstarren. Mir fiel ein, dass Jill etwas Ähnliches gesagt hatte, als sie mir von ihm und Geist erzählt hatte. »Nein«, antwortete ich aufrichtig. »Ich weiß nicht, wie es ist … aber für mich, na ja, ist es so ziemlich mit das Erschreckendste, was ich mir vorstellen kann. Mein Verstand, das ist … das ist die Person, die ich bin. Ich würde lieber jede andere Verletzung auf der Welt erleiden, als meinen Verstand beschädigt zu sehen.«
Ich konnte Adrian jetzt nicht allein lassen. Ich konnte einfach nicht. Ich schickte Brayden eine SMS : Wird etwas länger dauern, als ich dachte.
»Es ist erschreckend«, bekräftigte Adrian. »Und unheimlich, weil mir ein besseres Wort fehlt. Und ein Teil von dir weiß … nun, ein Teil von dir weiß, dass etwas nicht stimmt. Dass du nicht richtig denkst. Aber was sollst du dagegen unternehmen? Alles, worauf wir uns stützen können, ist das, was wir denken, wie wir die Welt sehen. Wenn du deinem eigenen Verstand nicht trauen kannst, worauf kannst du dann vertrauen? Was andere Leute dir sagen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich in Ermangelung einer besseren Antwort. Seine Worte trafen mich, weil mir der Gedanke kam, wie sehr mein Leben immer durch die Anordnungen anderer bestimmt gewesen war.
»Rose hat mir einmal von einem Gedicht erzählt, das sie gelesen hat. Da war diese Zeile: ›Wenn deine Augen nicht offen wären, würdest du den Unterschied zwischen Träumen und Wachen nicht kennen.‹ Weißt du, wovor ich mich fürchte? Dass ich es eines Tages selbst mit offenen Augen nicht mehr weiß.«
»Oh, Adrian, nein!« Mir brach das Herz, und ich setzte mich neben dem Sofa auf den Boden. »Das wird nie passieren.«
Er seufzte. »Zumindest nicht mit dem Alkohol … er beruhigt den Geist, und wenn die Dinge merkwürdig erscheinen, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass ich betrunken bin. Es ist kein großartiger Grund, aber es ist immerhin ein Grund, verstehst du? Zumindest hat man tatsächlich einen Grund, statt einfach nur nicht sich selbst zu vertrauen.«
Brayden schrieb zurück: Wie viel länger noch? Verärgert antwortete ich: Viertelstunde.
Ich sah wieder zu Adrian auf. Sein Gesicht war nach wie vor verdeckt, obwohl das Kerzenlicht die klaren Linien seines Profils ziemlich gut beleuchtete. »Ist das … ist das der Grund, warum du heute Abend getrunken hast? Macht dir Geist zu schaffen? Ich meine … neulich schienst du mir so gut zurechtzukommen … «
Er atmete tief aus. »Nein. Geist ist okay … soweit er das jemals ist. In Wirklichkeit habe ich mich heute Abend betrunken, weil … also, es war die einzige Möglichkeit, wie ich mich dazu bringen konnte, mit dir zu reden.«
»Wir reden doch ständig miteinander.«
»Ich muss etwas wissen, Sage.« Er nahm den Arm vom Gesicht und sah mich an, und ich begriff plötzlich, wie nah ich ihm war. Einen Moment lang achtete ich beinahe nicht auf seine Worte. Er sah ja auch jetzt schon gut aus, aber der Tanz von flackernden Schatten und Licht verlieh ihm eine geradezu quälende Schönheit. »Hast du Lissa dazu bewogen, mit meinem Dad zu sprechen?«
»Was? Oh. Das. Einen Moment.« Ich griff nach meinem Handy und schrieb Brayden erneut eine Nachricht: Besser ne halbe Stunde.
»Ich weiß, dass jemand sie dazu gebracht hat«, fuhr Adrian fort. »Ich meine, Lissa mag mich, aber sie hat eine Menge am Hals. Sie hätte bestimmt nicht eines Tages gedacht: ›Oh, he, ich sollte Nathan Ivashkov mal anrufen und ihm sagen, wie umwerfend sein Sohn ist.‹ Du steckst dahinter.«
»Ich selbst habe tatsächlich nie mit ihr gesprochen«, erwiderte ich. Ich bedauerte mein Tun nicht im Mindesten, fand es jedoch unheimlich, deswegen zur Rede gestellt zu werden. »Aber ich, ähm, könnte Sonya und Dimitri gebeten haben, deinetwegen mit ihr zu reden.«
»Dann hat sie mit meinem alten Herrn gesprochen.«
»Etwas in der Art.«
»Hab ich’s doch gewusst«, sagte er. Ich konnte seinen Tonfall nicht einschätzen, wusste nicht, ob er aufgeregt oder erleichtert war. »Ich habe gewusst, dass irgendwer sie dazu gedrängt haben musste, und irgendwie hab ich auch gewusst, dass du das warst. Sonst hätte das niemand für mich getan. Ich weiß nicht genau, was Lissa ihm gesagt hat, aber … Mann, sie muss ihn wirklich überzeugt haben! Er war wahnsinnig beeindruckt. Er schickt mir Geld für ein Auto. Und erhöht mein Taschengeld auf ein vernünftiges Maß.«
»Das ist doch gut«, antwortete ich. »Oder
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