Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
ungefähr fünfzig Zuschauern besetzt, zumeist Männern verschiedenen Alters. Die Augen, argwöhnisch und sogar feindselig, hielten sie auf mich gerichtet, als man mich hereinführte. Ich konnte praktisch spüren, wie sich ihre Blicke in meine Tätowierung bohrten. Wussten sie von den Alchemisten und unserer Geschichte? Alle waren ganz gewöhnlich gekleidet, aber hier und da bemerkte ich ein Schimmern von Gold. Viele von ihnen trugen eine Art Schmuck – eine Anstecknadel, einen Ohrring etc. – , entweder mit einem alten oder einem modernen Sonnensymbol.
Die andere Tribüne war fast leer. Drei Männer – älter, eher so alt wie mein Dad – saßen Seite an Seite. Sie trugen gelbe Roben mit Goldstickerei, die in dem orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne glitzerte. Goldene Helme bedeckten ihre Köpfe, und eingraviert in die Helme war das alte Sonnenzeichen, der Kreis mit dem Punkt. Sie beobachteten mich ebenfalls, und ich hielt den Kopf hoch erhoben und hoffte, dadurch das Zittern meiner Hände zu verbergen. Ich konnte Sonya nicht überzeugend vertreten, wenn ich eingeschüchtert wirkte.
An Stangen hingen rund um die Arena Banner aller Formen und Größen. Sie bestanden aus einem schweren Stoff, der mich an mittelalterliche Wandteppiche erinnerte. Natürlich waren sie nicht so alt, aber sie verliehen dem Ort trotzdem etwas Luxuriöses, Zeremonielles. Die Muster der Banner unterschieden sich erheblich. Einige schienen wirklich historisch zu sein und zeigten stilisierte Ritter, die gegen Vampire kämpften. Beim Anblick dieser Banner überlief mich ein Schauder. Ich war wirklich in der Zeit zurückgegangen, in den Schoß einer Gruppierung mit einer Geschichte, die ebenso alt war wie die der Alchemisten. Andere Banner waren abstrakter und stellten die alten alchemistischen Symbole dar. Wieder andere wirkten modern und zeigten die Sonne auf Treys Rücken. Ich fragte mich, ob diese neuere Deutung der Sonne der heutigen Jugend gefallen sollte.
Und die ganze Zeit über dachte ich immer wieder: Kaum eine Woche. Sie haben das alles in kaum einer Woche errichtet. Sie reisen mit allem herum und können es von einem Moment auf den anderen aufbauen, um diese Wettbewerbe durchzuführen oder Hinrichtungen zu vollziehen. Vielleicht sind sie primitiv, aber das macht sie gewiss nicht weniger gefährlich.
Obwohl die große Gruppe von Zuschauern einen wilden Eindruck erweckte, den einer Art hinterwäldlerischer Miliz, war es eine Erleichterung, dass sie anscheinend nicht bewaffnet waren. Nur meine Eskorte war es. Ein Dutzend Pistolen waren für meinen Geschmack immer noch zu viel, aber ich würde nehmen, was ich bekommen konnte – und hoffen, dass sie die Waffen im Wesentlichen zu demonstrativen Zwecken bei sich trugen. Wir kamen unten vor der leeren Tribüne an. Dort trat Trey neben mich.
»Das ist der Hohe Rat der Krieger des Lichtes«, sagte er und zeigte nacheinander auf die Männer. »Master Jameson, Master Angeletti und Master Ortega. Dies hier ist Sydney Sage.«
»Sie sind hier sehr willkommen, kleine Schwester«, sagte Master Angeletti mit ernster Stimme. Er hatte einen langen, unordentlichen Bart. »Die Zeit ist längst gekommen, das Verhältnis zwischen unseren beiden Gruppen in Ordnung zu bringen. Wir werden viel stärker sein, wenn wir unsere Differenzen beiseiteschieben und uns vereinen.«
Ich lächelte ihn so höflich an, wie es mir möglich war, und beschloss, nicht darauf hinzuweisen, wie unwahrscheinlich es war, dass die Alchemisten dazu bereit waren, waffenschwingende Eiferer in ihren Reihen willkommen zu heißen. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, meine Herren. Danke, dass Sie mir erlaubt haben hierherzukommen. Gern würde ich mit Ihnen über etwas sprechen, nämlich … «
Master Jameson hob eine Hand, um mich am Weiterreden zu hindern. Seine Augen wirkten zu klein für sein Gesicht. »Alles zu seiner Zeit. Zuerst würden wir Ihnen gern zeigen, wie sorgfältig wir unsere Jugend für den Kampf im großen Kreuzzug ausbilden. Gerade so, wie Sie Vortrefflichkeit und Disziplin des Geistes befördern, befördern auch wir dies beides für den Körper.«
Auf irgendein unausgesprochenes Stichwort hin öffnete sich die Tür, durch die wir gerade eingetreten waren. Ein vertrautes Gesicht tauchte schon einmal in der Mitte der Arena auf: Chris, Treys Cousin. Er trug Jogginghosen, aber kein Hemd, so dass ich die strahlende, eintätowierte Sonne auf seinem Rücken deutlich erkennen konnte. Mit
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