Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
fast eine Ranke ergab. Die Tätowierung war exotisch und schön, und die kräftige, indigoblaue Tinte passte vollkommen zu seinen Augen. Als ich den Entwurf genauer studierte, fiel mir an seiner Form etwas Vertrautes auf, und ich hätte schwören können, dass ich ein schwaches Schimmern von Gold erkennen konnte, das die blauen Linien umrandete. Vor Schreck hätte ich das Foto beinahe fallen gelassen. Die Halbmonde waren über die Lilie eines Alchemisten tätowiert worden. Ich drehte das Bild um. Ein Wort war auf die Rückseite gekritzelt: Marcus.
Marcus Finch, von dem die Krieger des Lichts behauptet hatten, er sei ein ehemaliger Alchemist. Marcus Finch, von dem die Alchemisten behauptet hatten, er existiere nicht. Das Verrückte war, es gab keine »ehemaligen Alchemisten« – sofern man eingesperrte Personen wie Keith nicht rechnete. Man gehörte sein Leben lang dazu. Man konnte sie nicht verlassen. Doch diese verdeckte Lilie sprach für sich selbst. Sofern Marcus seinen Namen nicht geändert hatte und die Alchemisten nichts davon wussten, belogen mich Donna Stanton und die anderen, wenn sie behaupteten, keine Ahnung von ihm zu haben. Aber warum? Hatte es einen Bruch gegeben? Vor einer Woche hätte ich gesagt, es sei unmöglich, dass Donna Stanton mir nicht die Wahrheit über ihn sagte, aber jetzt, im Wissen, wie sorgfältig und portionsweise Wahrheit ausgeteilt wurde, hatte ich so meine Zweifel.
Ich starrte das Bild noch einige Sekunden lang an, gebannt von diesen bemerkenswerten blauen Augen. Dann steckte ich das Foto weg und kehrte in die Amberwood zurück, entschlossen, nichts von diesem Foto zu sagen. Wenn die Alchemisten Marcus Finchs Existenz mir gegenüber leugnen wollten, dann sollten sie das doch tun – bis ich die Gründe dafür enträtselt hatte. Was bedeutete, dass meine einzige Spur Clarence und die abwesenden Krieger waren. Trotzdem, es war immerhin ein Anfang.
Irgendwie, irgendwann würde ich Marcus Finch finden und meine Antworten erhalten.
Es überraschte mich, Jill draußen vor unserem Wohnheim sitzen zu sehen. Sie saß natürlich im Schatten, so dass sie das schöne Wetter genießen konnte, ohne die pralle Sonne abzubekommen. Endlich gab es so etwas wie einen Herbst – nicht, dass 27 Grad Celsius das gewesen wären, was ich normalerweise mit frischem Herbstwetter assoziierte. Jill wirkte nachdenklich, aber ihre Miene hellte sich bei meinem Anblick zumindest ein wenig auf.
»He, Sydney. Ich hatte gehofft, dich zu erwischen. Ohne dein Handy finde ich dich nicht mehr.«
Ich verzog das Gesicht. »Ja. Ich muss mir mal ein neues anschaffen. Das nervt furchtbar.«
Sie nickte mitfühlend. »Hast du Sonya zum Flughafen gebracht?«
»Sie ist auf dem Weg zurück zum Hof und zu Mikhail – und hoffentlich zu einem viel friedlicheren Leben.«
»Das ist gut«, erwiderte Jill. Sie wandte den Blick ab und biss sich auf die Unterlippe.
Ich kannte sie inzwischen gut genug, um die Anzeichen zu erkennen, die verkündeten, dass sie sich dafür wappnete, mir etwas zu sagen. Ich war auch klug genug, nicht in sie zu dringen, daher wartete ich geduldig ab.
»Ich habe es getan«, erklärte sie schließlich. »Ich habe Micah gesagt, dass Schluss ist … wirklich Schluss.«
Erleichterung durchflutete mich. Eine Sorge weniger. »Das tut mir leid«, erwiderte ich. »Ich weiß, das muss hart gewesen sein.«
Sie strich sich das gelockte Haar aus dem Gesicht und überlegte. »Ja. Und nein. Ich mag ihn. Und ich würde weiter gern Zeit mit ihm verbringen – als Freunde – , wenn er das auch will. Aber ich weiß nicht. Er hat es irgendwie schwer genommen … und unsere jeweiligen Freunde? Na … sie sind im Augenblick nicht besonders gut auf mich zu sprechen.« Ich versuchte, nicht zu stöhnen. Jill hatte sich so gut gemacht hier, und jetzt konnte doch noch alles in die Binsen gehen. »Aber es ist am besten so. Micah und ich leben in unterschiedlichen Welten, und mit einem Menschen gibt es ohnehin keine echte Zukunft. Außerdem habe ich viel über Liebe nachgedacht … ich meine, über die große Liebe … « Sie sah einen Moment zu mir auf, während ihr Blick weicher wurde. »Und die war es bei uns nicht. Mir scheint, dass ich so etwas empfinden sollte, wenn ich mit jemandem zusammen bin.«
Ich dachte, dass die große Liebe für jemanden in ihrem Alter noch etwas viel wäre, sprach es aber nicht aus. »Wirst du zurechtkommen?«
Sie kehrte in die Realität zurück. »Ja, ich glaube schon.« Ein kleines Lächeln
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