Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
konnte kaum glauben, dass sie mich ohne jeden Grund ausbilden wollte. Ich war nicht dahintergekommen, welches der Grund sein könnte, aber es spielte auch keine Rolle. Ich hatte ihr Angebot abgelehnt. Also hatte sie eine andere Lösung gefunden.
»Ms Melbourne, wie lange werden Sie noch für das Buch von Kimball brauchen?«, rief sie von ihrem Schreibtisch aus. Sie war es, von der Trey »Melbourne« aufgeschnappt hatte, aber im Gegensatz zu ihm schien sie ständig zu vergessen, dass dies nicht mein richtiger Name war. Sie war in den Vierzigern, hatte mausbraunes Haar und ständig ein listiges Glitzern in den Augen.
Ich schaute von meiner Arbeit auf und zwang mich zur Höflichkeit. »Noch zwei Tage. Höchstens drei.«
»Übersetzen Sie unbedingt alle drei Schlafzauber!«, sagte sie. »Jeder hat seine eigenen Nuancen.«
»In diesem Buch befinden sich vier Schlafzauber‹«, korrigierte ich sie.
»Ach ja?«, fragte sie unschuldig. »Freut mich zu sehen, dass sie bei Ihnen einen Eindruck hinterlassen haben.«
Ich unterdrückte ein Stirnrunzeln. Sie unterrichtete mich, indem sie mich zu Forschungszwecken Zauberbücher kopieren und übersetzen ließ. Ich konnte nicht umhin, die Texte zu lernen, wenn ich sie las. Zwar ärgerte ich mich zu Tode, so geködert worden zu sein, aber nun war es zu spät im Schuljahr für einen Wechsel. Außerdem konnte ich mich kaum bei der Verwaltung darüber beschweren, dass ich dazu gezwungen wurde, Magie zu erlernen.
Also kopierte ich pflichtschuldigst ihre Zauberbücher und sprach während der Zeit, die wir zusammen verbrachten, so wenig wie möglich. Unterdessen brodelte ein Groll in mir. Sie wusste genau, wie unbehaglich mir zumute war, tat jedoch nichts, um die Spannung zu verringern. Deswegen waren wir in eine Sackgasse geraten. Nur eines hellte diese Sitzungen auf.
»Da, sehen Sie! Fast zwei Stunden her seit meinem letzten Cappuccino. Ein Wunder, dass ich noch funktionsfähig bin. Wären Sie wohl so freundlich, zu Spencer’s zu laufen? Das sollte für heute genügen.« Zum letzten Mal hatte es vor fünfzehn Minuten geläutet, aber ich hatte Überstunden eingelegt.
Ich hatte das Zauberbuch schon geschlossen, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Zu Beginn meiner Tätigkeit als ihre Assistentin waren mir die ständigen Besorgungen gegen den Strich gegangen. Jetzt freute ich mich auf diese Fluchtmöglichkeit. Ganz zu schweigen davon, dass es ja auch für mich frisches Koffein bedeutete.
Als ich die Espressobar erreichte, begann Trey gerade mit seiner Schicht. Großartig – und das nicht nur, weil er ein freundliches Gesicht war, sondern weil es Rabatt bedeutete. Er arbeitete an meiner Bestellung, noch bevor ich sie aufgegeben hatte, da er inzwischen genau wusste, was ich wollte. Ein anderer Barista erbot sich zu helfen, und Trey gab ihm genaue Anweisungen, was er zu tun hatte.
»Vanilla Latte, fettarm«, sagte Trey und griff nach dem Karamel für Ms Terwilligers Cappuccino. »Das ist zuckerfreier Sirup und entrahmte Milch. Vermassel es nicht! Sie kann Zucker und Vollmilch aus einer Meile Entfernung riechen.« Ich verkniff mir ein Lächeln. Vielleicht konnte ich meinen Freunden keine Alchemistengeheimnisse anvertrauen, aber es war schön zu wissen, dass sie zumindest meine Kaffeevorlieben in- und auswendig kannten.
Der andere Barista, der so aussah, als sei er in unserem Alter, warf Trey einen seltsamen Blick zu. »Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, was mager bedeutet.«
»Was du alles an Details beachtest«, zog ich Trey auf. »Ich hatte gar nicht gewusst, dass es dir so wichtig ist.«
»He, ich lebe, um zu dienen«, erwiderte er. »Außerdem brauche ich heute Abend deine Hilfe – bei diesem Versuchsprotokoll in Chemie. Du findest immer was, das ich übersehe.«
»Das Protokoll ist morgen fällig«, tadelte ich ihn. »Du hast zwei Wochen Zeit gehabt. Vermutlich hast du bei deiner Arbeitssitzung mit den Cheerleadern nicht viel geschafft.«
»Ja, ja. Hilfst du mir? Ich komme sogar auf deinen Campus.«
»Ich werde lange mit einer Arbeitsgruppe – aber einer echten – beschäftigt sein.« Das andere Geschlecht war nach einer bestimmten Stunde aus unseren Wohnheimen verbannt. »Ich könnte mich anschließend auf dem zentralen Campus mit dir treffen, wenn du willst.«
»Wie viele Campus hat eure Schule?«, fragte der andere Barista und stellte meinen Latte vor mich hin.
»Drei.« Ich griff eifrig nach dem Kaffee. »Wie Gallien.«
»Wie was?«, fragte
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