Bloodlines - Mead, R: Bloodlines - Bloodlines
stöhnten, aber ich fand es aufregend. Ich liebte Geschichte, vor allem die Geschichte von Kunst und Architektur. Mein Privatunterricht war zupackend und ausgewogen gewesen, aber bei diesem speziellen Thema hatte mein Vater gemeint, dass wir nicht viel Zeit darauf verwenden müssten. Ich musste mir die Kenntnisse in meiner Freizeit aneignen, und der Gedanke war ebenso verblüffend wie luxuriös, dass ich jetzt einen Kurs hatte, dessen ganzer Zweck darin bestand, etwas darüber zu lernen. Außerdem würde hier mein Wissen geschätzt werden – zumindest von Seiten der Lehrerin.
Danach verabschiedete ich mich von Eddie und ging in den Chemiekurs für Anfänger. Während ich auf den Unterrichtsbeginn wartete, schob sich Trey an ein Pult neben mir.
»Also, Miss Melbourne«, sagte er und ahmte dabei Ms Terwilligers Stimme nach. »Wann werden Sie Ihren eigenen Geschichtskurs geben?«
Es tat mir leid, dass sie auf ihm herumgehackt hatte, aber sein Tonfall gefiel mir auch nicht. »Belegst du diesen Kurs tatsächlich? Oder willst du nur noch etwas länger rumhängen und so tun, als würdest du der Lehrerin helfen?«
Bei diesen Worten musste er grinsen. »Oh, ich bin in diesem Kurs, leider. Und ich war letztes Jahr Ms T.s bester Schüler. Wenn du in Chemie genauso gut bist wie in Geschichte, dann schnapp ich mir dich als Laborpartnerin. Dann kann ich mir dieses ganze Halbjahr nämlich frei nehmen.«
Chemie war ein entscheidender Teil des Alchemistenberufs, und ich bezweifelte, dass es in diesem Kurs etwas gab, das ich nicht bereits wusste. Die Alchemie war im Mittelalter als magische Wissenschaft aufgekommen – in dem Bestreben, Blei in Gold zu verwandeln. Ausgehend von diesen ersten Experimenten war sie weiter vorangeschritten und hatte die besonderen Eigenschaften von Vampirblut entdeckt und herausgefunden, wie es auf andere Substanzen reagierte. Das hatte letztlich zum Kreuzzug der Alchemisten gegen die Vermischung von Vampiren und Menschen geführt. Wegen dieses frühen wissenschaftlichen Hintergrunds und unserer gegenwärtigen Arbeit mit Vampirblut war Chemie eines der Hauptfächer der Ausbildung meiner Kindheit gewesen. Ich hatte meinen ersten Chemiekasten mit sechs Jahren bekommen. Als andere Kinder das Alphabet geübt hatten, hatte mir mein Vater mit Fragenkärtchen über Säuren und Basen zugesetzt.
Da ich dies Trey gegenüber unmöglich zugeben konnte, wandte ich den Blick ab und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Ich bin ganz gut in Chemie.«
Sein Blick wanderte zu meiner Wange, und ein Ausdruck des Verstehens glitt über seine Züge. »Ah. Das ist es also.«
»Was denn?«, fragte ich.
Er zeigte auf mein Gesicht. »Deine Tätowierung. Das macht sie also, hm?«
Als ich mein Haar zurückgeschoben hatte, hatte ich die goldene Lilie entblößt. »Was meinst du?«, fragte ich.
»Mir gegenüber brauchst du dich nicht zu zieren«, antwortete er und verdrehte die dunklen Augen. »Ich hab’s kapiert. Ich meine, für mich ist das ja Mogelei, aber vermutlich halten es nicht alle so mit der Ehre. Allerdings ziemlich dreist, sie im Gesicht zu tragen. Sie verstößt gegen die Kleidungsvorschriften – nicht dass das irgendwen hindern würde.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her und ließ mein Haar wieder herabfallen. »Ich weiß. Ich wollte die Tätowierung überschminken und hab es vergessen. Aber was meinst du mit dem Mogeln?«
Er schüttelte lediglich auf eine Weise den Kopf, die deutlich besagte, dass ich bei ihm unten durch war. Ich saß da, völlig hilflos, und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Schon bald trat an die Stelle meiner Verwirrung Entsetzen, als unser Lehrer uns nämlich eine Einführung in den Kurs und dessen Aufbau gab. Ich hatte in meinem Zimmer einen Chemiekasten, mit dem man mehr anfangen konnte als mit diesem Kurs. Na gut. Vermutlich konnte mir eine kleine Auffrischung der Grundlagen auch nicht weiter schaden.
Meine anderen Kurse entwickelten sich auf ähnliche Weise. Ich war in all meinen Fächern ganz vorn und beantwortete jede Frage. Das trug mir bei den Lehrern Pluspunkte ein, aber die Reaktionen meiner Klassenkameraden konnte ich nicht einschätzen. Ich sah noch immer viele Leute kläglich den Kopf schütteln und mich fasziniert betrachten – aber nur Trey verachtete mich tatsächlich. Ich wusste nicht, ob ich mich zurückhalten sollte oder nicht.
Einige Male lief ich Kristin und Julia über den Weg. Sie erinnerten mich daran, dass wir uns zum Mittagessen treffen
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