Bloodlines - Mead, R: Bloodlines - Bloodlines
Hinsicht so ähnlich, schüchtern und unsicher – und doch äußerst leidenschaftlich und verzweifelt in ihrem Wunsch, sich zu beweisen. Ich hatte versucht, Zoe zu beschützen – und in ihren Augen nur versagt. Jetzt erfüllte es mich mit widersprüchlichen Gefühlen, für Jill da zu sein. In gewisser Hinsicht konnte ich wiedergutmachen, was ich bei Zoe versäumt hatte. Doch noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf ging, sagte eine innere Stimme immer wieder: Jill ist nicht deine Schwester. Sie ist ein Vampir. Dies gehört zum Geschäftlichen.
»Danke, Sydney. Ich bin froh, dass du hier bist.« Sie lächelte, und vor Schuldgefühlen krampfte sich in mir alles nur noch weiter zusammen. »Weißt du, irgendwie bin ich eifersüchtig auf Adrian. Er glaubt, es sei so langweilig bei Clarence, aber er braucht sich keine Sorgen darum zu machen, neue Leute kennenzulernen oder sich in einer neuen Schule zurechtzufinden. Er kann einfach rumhängen, fernsehen, mit Lee Billard spielen, ausschlafen … es klingt so toll.« Sie seufzte.
»Ich nehme es an«, sagte ich, ein wenig überrascht über die detaillierte Beschreibung. »Woher weißt du das alles? Hast du … hast du mit ihm gesprochen, seit wir weggefahren sind?« Noch während ich die Frage aussprach, kam mir die Vorstellung unwahrscheinlich vor. Ich hatte den größten Teil des Tages in ihrer Gesellschaft verbracht.
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »O nein. Ich meine, ich vermute nur, dass es so ist. Er hat so was mal erwähnt, das ist alles. Entschuldige. Ich bin melodramatisch und fasele. Danke, dass du mir zuhörst … es hilft mir wirklich, mich besser zu fühlen.«
Ich lächelte gepresst und erwiderte nichts. Ich kam noch immer nicht über die Tatsache hinweg, dass ich so herzliche Gefühle für einen Vampir entwickelte. Zuerst Rose und jetzt Jill? Es spielte überhaupt keine Rolle, wie liebenswert sie war. Ich musste unsere Beziehung professionell halten, damit mir kein Alchemist vorwerfen konnte, eine Bindung zu entwickeln. Keith’ Worte hallten in meinem Kopf wider: Vampirliebchen …
Das ist doch lächerlich, dachte ich. Es war nichts daran auszusetzen, nett zu den Leuten in meiner Obhut zu sein. Es war eigentlich ganz normal und ich himmelweit davon entfernt, ihnen zu nahe zu kommen, nicht wahr? Schließlich schob ich meine Sorgen beiseite und konzentrierte mich darauf, meine restlichen Habseligkeiten auszupacken und über unser neues Leben hier nachzudenken. Ich hoffte aufrichtig, dass der morgige Tag so glatt verlaufen würde, wie ich es Jill versichert hatte.
Unglücklicherweise war das nicht der Fall.
KAPITEL 6
U m fair zu sein: Der Tag begann großartig.
Sonnenlicht fiel durch das Fenster, als wir erwachten, und ich spürte bereits die Hitze, obwohl es noch früher Morgen war. Ich entschied mich für mein leichtestes Ensemble aus der Uniformsammlung: einen grauen Rock und dazu eine kurzärmelige, weiße Bluse. Einfacher Schmuck war erlaubt, daher ließ ich das goldene Kreuz an. Im Übrigen: Bad hair day. Das schien in diesem neuen Klima eher die Regel zu sein. Ich wünschte, ich hätte mir das Haar zu einem Pferdeschwanz frisieren können, so wie Jill, aber es war zu stufig geschnitten, um dann noch adrett auszusehen. Während ich meine Haare betrachtete, die mir auf die Schultern fielen, fragte ich mich, ob vielleicht der Zeitpunkt gekommen war, sie auswachsen zu lassen.
Nach einem Frühstück, das keine von uns beiden wirklich aß, fuhren wir mit dem Shuttlebus zum mittleren Campus, auf dem es plötzlich von Leuten wimmelte. Nur etwa ein Drittel der Schüler wohnte im Internat. Die Übrigen kamen aus der Nachbarschaft, und sie waren heute alle aufgetaucht. Die ganze Fahrt über sprach Jill kaum ein Wort, außerdem schien ihr wieder übel zu sein. Es war schwer zu sagen, aber ich fand, dass sie noch blasser aussah als gewöhnlich. Ihre Augen waren wieder blutunterlaufen, mit schweren, dunklen Ringen. Ich war in der Nacht einmal aufgewacht und hatte sie tief schlafen sehen, also wusste ich nicht so genau, wo das Problem lag. Diese dunklen Ringe waren tatsächlich der erste Makel, den ich jemals auf der Haut eines Moroi gesehen hatte – sonst erschien sie immer perfekt, wie Porzellan. Kein Wunder, dass sie normalerweise ausschlafen konnte. Sie brauchte sich nicht mit dem Puder und dem Concealer abzuplagen, die ich benutzte.
Im Laufe des Vormittags biss sich Jill immer wieder auf die Unterlippe und sah sich wiederholt besorgt
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