Bloodlines - Mead, R: Bloodlines - Bloodlines
um. Vielleicht war sie einfach nervös bei dem Gedanken, in eine gänzlich von Menschen bevölkerte Welt einzutauchen. Im Hinblick auf die Logistik – die richtigen Räume zu finden und Arbeiten rechtzeitig fertigzustellen – schien sie überhaupt keine Probleme zu haben. Das war genau der Aspekt, der mir immer noch etwas Angst machte. Geh einfach von einem Kurs zum nächsten, sagte ich mir. Mehr musst du nicht tun.
Mein erster Kurs war Alte Geschichte. Eddie war ebenfalls drin – und auch sofort bei mir. »Geht es dir gut? Hast du sie gesehen?«
»Wir teilen uns ein Zimmer, also – ja.« Wir setzten uns an benachbarte Pulte. Ich lächelte Eddie zu. »Entspann dich mal. Es geht ihr bestens. Sie wirkte zwar nervös, aber da kann ich ihr wirklich keinen Vorwurf machen.«
Er nickte, wirkte aber immer noch unsicher. Als die Lehrerin erschien, widmete Eddie seine ganze Aufmerksamkeit dem vorderen Teil des Raums, verströmte jedoch eine gewisse Rastlosigkeit, während er dasaß, als könne er sich kaum daran hindern, aufzuspringen und nach Jill zu sehen.
»Einen schönen guten Morgen.« Unsere Lehrerin war eine Frau in den Vierzigern mit weiß gestreiftem, drahtigem, schwarzem Haar und ausreichend nervöser Energie, um es mit Eddie aufzunehmen – und falls ihr riesiger Kaffeebecher irgendein Indiz war, so war der Grund dafür nicht schwer zu verstehen. Außerdem war ich ein wenig eifersüchtig und wünschte, es wäre uns gestattet, im Unterricht Getränke zu uns zu nehmen – insbesondere, da es in der Cafeteria im Wohnheim keinen Kaffee gab. Ich wusste nicht, wie ich die nächsten Monate koffeinfrei überleben sollte. Bei ihrer Garderobe bevorzugte sie Schottenmuster. »Ich bin Ms Terwilliger, Ihre erlauchte Führerin auf der wunderbaren Reise in die alte Geschichte.« Sie sprach in dramatisch-grandiosem Tonfall, bei dem einige meiner Klassenkameraden in Gekicher ausbrachen. Dann zeigte sie auf einen jungen Mann, der hinter ihr gesessen hatte, in der Nähe des großen Schreibtischs. Er hatte die Klasse mit gelangweilter Miene betrachtet, doch als sie sich zu ihm umdrehte, merkte er auf. »Und dies ist mein Co-Reiseleiter, Trey, den einige von Ihnen, so glaube ich, kennen. Trey ist meine Hilfskraft für dieses Halbjahr, also wird er im Wesentlichen in der Ecke schmollen und Papiere sortieren. Aber Sie sollten nett zu ihm sein, da er durchaus derjenige sein könnte, der Ihre Zensuren in meinen Computer eingibt.«
Trey winkte schwach und grinste einigen seiner Freunde zu. Er hatte dunkel gebräunte Haut und schwarzes Haar, dessen Länge mit den Regeln des Kleidungskodex flirtete. Die säuberlich gebügelte Uniform von Amberwood verlieh ihm die Illusion von Geschäftsmäßigkeit, aber in seinen dunklen Augen stand ein schelmisches Glitzern, angesichts dessen mir der Gedanke kam, dass er seine Arbeit als Hilfskraft nicht völlig ernst nahm.
»Also«, fuhr Ms Terwilliger fort. »Geschichte ist wichtig, weil sie uns etwas über die Vergangenheit lehrt. Und wenn Sie ein paar Dinge über die Vergangenheit lernen, verstehen Sie die Gegenwart besser, so dass Sie wohldurchdachte Entscheidungen für die Zukunft treffen können.«
Sie legte eine dramatische Pause ein, damit wir die Worte inzwischen verdauen konnten. Sobald sie davon überzeugt war, dass wir andächtig lauschten, ging sie zu einem Laptop hinüber, der an einen Beamer angeschlossen war. Sie drückte auf einige Tasten, und das Bild eines von weißen Säulen getragenen Gebäudes erschien auf der Leinwand im vorderen Teil der Klasse.
»Also dann. Kann mir jemand sagen, was das ist?«
»Ein Tempel?«, rief jemand.
»Sehr gut, Mr … ?«
»Robinson«, ergänzte der Junge.
Ms Terwilliger holte ein Klemmbrett hervor und überflog eine Liste. »Ah, da sind Sie ja. Robinson. Stephanie.«
»Stephan«, korrigierte sie der Junge und errötete, als einige seiner Freunde loskicherten.
Ms Terwilliger zog ihre Brille die Nase hinauf und blinzelte. »Der sind Sie. Gott sei Dank. Ich habe gerade überlegt, wie schwierig Ihr Leben mit einem solchen Namen sein muss. Entschuldigung. Ich habe mir am Wochenende bei einem verrückten Krocket-Unfall meine Brille zerbrochen. Darum bin ich gezwungen, heute meine alte zu tragen. Also, Stephan – nicht Stephanie – , Sie liegen richtig. Es ist ein Tempel. Können Sie etwas genauer sein?«
Stephan schüttelte den Kopf.
»Kann sonst jemand eine Erkenntnis bieten?«
Als Ms Terwilliger nur Schweigen entgegenschlug, holte ich tief
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