Bloodlines - Mead, R: Bloodlines - Bloodlines
mein Schultag offiziell mit Sport endete.
Ich zog die Sportkleidung an, die mir zugeteilt worden war, Shorts und ein Amberwood-T-Shirt, und lief mit den anderen in die heiße Sonne hinaus. Während ich heute zwischen den Klassenräumen hin und her geeilt war, hatte ich ein wenig von der Hitze gespürt, aber erst als ich tatsächlich längere Zeit draußen stehen musste, wurde mir wirklich und wahrhaftig bewusst, dass wir in der Wüste waren. Als ich mir meine Klassenkameraden anschaute, bei denen es sich um Mädchen und Jungen aller Jahrgänge handelte, sah ich, dass ich nicht die Einzige war, die schwitzte. Ich bekam lediglich selten einen Sonnenbrand, nahm mir aber vor, nur für den Fall des Falles einen Sonnenschutz mitzunehmen. Jill würde ihn ebenfalls brauchen.
Jill!
Ich sah mich um. Fast hatte ich vergessen, dass Jill im gleichen Kurs sein sollte. Nur – wo war sie? Ich konnte keine Spur von ihr entdecken. Als unsere Lehrerin, Miss Carson, unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkte, erwähnte sie nicht einmal Jills Namen. Ich fragte mich, ob die Stundenpläne wohl in letzter Minute geändert worden waren.
Miss Carson hielt viel davon, gleich zur Sache zu kommen. Wir wurden in Volleyball-Mannschaften eingeteilt, und ich fand mich auf dem Platz neben Micah wieder. Sein heller, sommersprossiger Teint färbte sich rosig, und ich verspürte beinahe den Wunsch, ihm ebenfalls einen Sonnenschutz vorzuschlagen. Er lächelte mich freundlich an.
»Hey«, begrüßte ich ihn. »Du hast meine Schwester heute nicht gesehen, oder? Jill?«
»Nein«, antwortete er. Eine schwache Falte trat zwischen seine Brauen. »Eddie hat sie beim Mittagessen gesucht. Er dachte, sie würde drüben in deinem Wohnheim mit dir essen.«
Ich schüttelte den Kopf und bekam ein unangenehmes Gefühl im Magen. Was war da los? Albtraumszenarien kamen mir in den Sinn. Ich hatte geglaubt, Eddie würde mit seiner Wachsamkeit überreagieren, aber war Jill jetzt vielleicht doch etwas zugestoßen? War es möglich, dass sich einer von Jills Feinden trotz all unserer Planung eingeschlichen und sie uns unter der Nase weg entführt hatte? Würde ich den Alchemisten – und meinem Vater – erzählen müssen, dass wir Jill gleich am ersten Tag verloren hatten? Panik durchzuckte mich. Wenn ich zuvor nicht ohnehin schon kurz davor gestanden hatte, in ein Umerziehungslager geschickt zu werden, so befand ich mich jetzt eindeutig auf dem Weg dorthin.
»Alles mit dir in Ordnung?«, fragte Micah, der mich musterte. »Ist mit Jill alles okay?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Entschuldige mich.« Ich löste mich aus der Mannschaftsformation und lief zu Miss Carson hinüber.
»Ja?«, fragte sie.
»Entschuldigen Sie die Störung, Ma’am, aber ich mache mir Sorgen um meine Schwester. Jill Melrose. Ich bin Sydney. Sie sollte in diesem Kurs sein. Wissen Sie, ob sie die Kurse gewechselt hat?«
»Ah, ja. Melrose. Ich habe eine Notiz vom Sekretariat bekommen, kurz vor Unterrichtsbeginn, dass sie heute nicht teilnehmen wird.«
»Stand auf der Notiz auch eine Begründung?«
Miss Carson schüttelte entschuldigend den Kopf und blaffte einem Jungen, der gerade in seinem Eifer nachließ, ein Kommando zu. Ich schloss mich meiner Mannschaft wieder an, obwohl sich mir der Kopf drehte. Also, zumindest hatte jemand Jill heute gesehen, aber warum um alles in der Welt nahm sie nicht am Unterricht teil?
»Geht es ihr gut?«, fragte mich Micah.
»Ich … ich vermute, ja. Miss Carson hat anscheinend gewusst, dass sie am Unterricht nicht teilnehmen würde, aber den Grund dafür kennt sie auch nicht.«
»Kann ich irgendetwas tun?«, fragte er. »Um ihr zu helfen? Ähm, um euch zu helfen?«
»Nein, danke. Es ist aber nett, dass du fragst.« Ich wünschte, es wäre eine Uhr in der Nähe gewesen. »Ich werde nach ihr sehen, sobald der Unterricht vorüber ist.« Plötzlich kam mir ein Gedanke. »Aber Micah? Sag Eddie nichts davon.«
Micah warf mir einen neugierigen Blick zu. »Warum nicht?«
»Er hat einen etwas übertriebenen Beschützerinstinkt und wird sich Sorgen machen, obwohl wahrscheinlich gar nichts dahintersteckt.«
Außerdem wird er auf der Suche nach ihr die Schule auf den Kopf stellen.
Nach Unterrichtsende duschte ich schnell und zog mich um, bevor ich mich auf den Weg zum Verwaltungsgebäude machte. Ich wünschte mir verzweifelt, zuerst in mein Wohnheim zurücklaufen und nachsehen zu können, ob Jill da war – doch ich durfte mich zu dem Termin nicht verspäten.
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