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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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haben mich damals die Menschen, die mich akzeptiert haben, so wie ich jetzt bin. Die meine Behinderung ausblendeten oder in einer versachlichten Weise damit umgingen. Etwa als hätte ich nichts weiter als eine andere PS-Zahl oder eine andere Karosserie, wäre aber immer noch
ein Auto, das eine Versicherung braucht. Auto bleibt Auto, Versicherung bleibt Versicherung. Bei keinem Abschluss werden Sie mit dem Makler darüber sprechen, wie es sich anfühlt, mit so wenig PS zu fahren, oder wie es sich sitzt, und Sie werden auch keine mitleidigen Blicke ernten, weil der Makler Sie dafür bedauert, dass sie eine Marke fahren, die er niemals wollte. Nein, Sie werden bedient, also unterstützt und auf Bedingungen und Vorteile aufmerksam gemacht.
    Es gab sehr viele, die sich nur für diesen Typ Florian Sitzmann interessierten und nicht dafür, dass er jetzt ein Rollstuhlfahrer ist. Die haben sich ganz normal mit mir unterhalten und nicht alle drei Minuten gefragt, ob sie mir irgendwas helfen sollen. Denen konnte ich einfach signalisieren: »Pass auf, wenn ich irgendwas brauche, dann sage ich dir Bescheid, und ansonsten kannst du mich behandeln wie deine anderen Kollegen auch.« Dankeee!
    Und weil es um das Bescheid sagen geht und ich einer von vielen bin, einer in der 10-Prozent-Schublade, melde ich mich zu Wort. Ich fahre durch Deutschland, ich besuche Menschen, Ämter, Konzerte, Feste, Weihnachtsmärkte, und ich horche auf, wenn mich etwas erstaunt oder mir nicht gefällt. Nicht für mich, denn ich habe gelernt, Umwege in Kauf zu nehmen oder Schwellen zu ignorieren. Aber was ist mit den anderen? Denen, die sich gerne wie ich frei bewegen möchten und denen es an Selbstbewusstsein oder an Kraft fehlt?

    2005 gab es eine Fachkonferenz Selbstbewusstsein von Mädchen und Frauen mit Behinderung (§44 SGB IX): Erfahrungen – Erkenntnisse – Visionen im Rahmen der Rehacare in Düsseldorf. Auch dieser Aspekt ist im Gesetzbuch zu finden (§33 Abs. 6 SGB IX).
    Dazu gehören insbesondere:
Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,
Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,
mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen,
Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,
Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,
Training lebenspraktischer Fähigkeiten.
    Natürlich müssen Menschen dazu ermutigt und angeleitet werden, all das in Anspruch zu nehmen, was ihnen in dieser Situation gut tut und für ihre Rehabilitation wichtig ist. Zum Beispiel den Rollstuhl so oft zu reklamieren, bis er wirklich zu den eigenen Bedürfnissen passt, und das nicht als Opfer, sondern als selbstbewusster Kunde.
    Selbstbewusstsein wird durch andere Menschen und Vorbilder gefördert. Das gilt für Frauen wie für Männer. Vielleicht sind Frauen hier ein Stückchen weiter, weil sie sich 2005 schon Gedanken dazu gemacht haben. Es braucht Therapien und Kurse, in denen Männer und Frauen bei der Stärkung des Selbstbewusstseins geholfen wird.
    Erfolgreich einen gewünschten Ausbildungsplatz zu bekommen, sei das eine, erklärte Dr. Brigitte Sellach von der Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Frauen- und Genderforschung e.V. (GSF e.V.) damals auf dem Düsseldorfer Forum. Notwendig seien aber auch der Druck der Interessenverbände
und die Unterstützung in der Praxis, um Schule, Berufsberatung und Therapie entsprechend umzugestalten.
    Diese Ziele können nur durch Austausch und Information erreicht werden. Und durch Veranstaltungen dieser Art. Auch Männer brauchen Selbstbewusstsein – ich warte auf das Forum, das da (hoffentlich) kommt.

KAPITEL 2
Wohnen
    »My Home is my Castle«, heißt es so schön. Und so ähnlich, wie Menschen mit Füßen das erleben, ist es natürlich auch mit Menschen, die sich auf Rädern in ihren vier Wänden fortbewegen. Wenn eine Wohnung ein Castle werden soll, ist es meistens so, dass man sie sich mit viel Liebe und Kreativität selbst gestalten muss. Es sein denn, man heißt »Familie Geiss«, hat Kohle bis zum Abwinken und braucht nur zu bestimmen, wo das Ausgesuchte hinkommt. Das fertige Traumhaus oder Wohnschloss, wie es im Fernsehen zu sehen ist, wenn es um Werbung für Bausparverträge oder irgendwelche Los- oder Gewinnspielaktionen geht,

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