Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
ein Mongo bin!« Als wäre es das Normalste der Welt. Ich fand das großartig! Wie es formuliert wird, ist unwichtig, es geht allein um den natürlichen Umgang damit, so wie ihn dieses kleine Mädchen zeigte. Nach dieser Erklärung war alles geklärt und die beiden spielten eine Weile miteinander.
Die beste Integration beginnt für mich da, wo jemand sich traut zu fragen und jemand offen und gerne antwortet. Wenn jemand einen anderen Menschen als Gast mitnimmt und ihm dann auch zeigt, wo es schwierig wird.
Dies ist für mich das Ziel dieses Buches. Ich möchte Sie gern einladen und mitnehmen und Ihnen zeigen, wo es in Deutschland problematisch ist, sich als Behinderter normal zu fühlen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die einem das Leben im Rollstuhl »zur Hölle« machen können. Oft genug ist es sehr bequem und komfortabel. Aber an anderer Stelle eben auch nicht – und darauf will ich aufmerksam machen. Denn noch mal: Nur so können Lösungen gefunden werden.
Es ist eine Illusion, wenn wir davon ausgehen, das Leben von behinderten und nicht-behinderten Menschen wäre gleich – eine Gleichbehandlung gibt es noch längst nicht. Wenn das so wäre, dann könnte ich an jeder Tankstelle tanken, die gute Preise hat. Kann ich aber nicht, denn auch hier kommt es auf Barrierefreiheit an. Achten Sie beim nächsten Tanken mal darauf, ob Sie mit einem Rollstuhl in den Kassenraum zum Bezahlen kommen. Von der Toilette wollen wir jetzt mal gar nicht reden. Es sind oft kleine alltägliche Dinge, die mit dem Rollstuhl kaum zu bewältigen sind, dabei wäre Abhilfe ganz leicht zu schaffen. Zum Beispiel soll die Welt zwar kein Behindertenparkplatz werden, aber sie muss mir helfen, einen zu finden! Der Berater im Reisebüro muss nicht wissen, welche genauen Bedingungen ich als Reisender benötige, aber er sollte wissen, dass auch Menschen mit Behinderung reisen, dass sie besondere Bedürfnisse haben und Auskünfte brauchen und dass es genau hierfür spezielle Anbieter gibt.
Nicht jeder Kindergarten muss für alle Kinder offen sein, aber es wäre für unsere Gesellschaft vorteilhaft, wenn sich mehr pädagogische Einrichtungen zu dieser Öffnung entschließen würden.
Mit diesem Buch will ich anstoßen, provozieren. Deutschland ist in Teilen barrierefrei, aber es geht noch viel mehr! Das Buch zeigt einige Bereiche auf, in denen es sich auch als Mensch ohne Behinderung lohnt, einmal nachzudenken, wie er oder sie dazu beitragen kann, dass Integration, oder noch besser Inklusion, in den nächsten Jahren fußfassen kann. Unser aller Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass sich Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft bewegen können, ohne darin aufzufallen. Wir haben ja schon eine gute Ausgangsposition geschaffen, aber es gibt immer noch viel zu tun. Also: Lassen wir’s anrollen!
KAPITEL 1
Erste Schritte ohne Füße
Menschen mit einer Beeinträchtigung sind in Deutschland gut versorgt. Ärzte, Krankenschwestern, Krankengymnasten, Masseure, Reha-Einrichtungen, Krankenkassen, Apotheken, die unterschiedlichsten Berater und nicht zuletzt die Forschung sorgen dafür, dass Heilung und Wiedereingliederung funktionieren und das Leben weiter gehen kann. Aber obwohl wir hier in Deutschland so gut aufgestellt sind, reicht das alles noch längst nicht aus, um wirkliche Gleichbehandlung und Inklusion zu erreichen. Inklusion beginnt für mich an dem Punkt, an dem du in der Öffentlichkeit nicht mehr als Zirkusfigur bestaunt wirst, bloß weil dir zwei Beine fehlen oder du irgendeinen anderen körperlichen »Makel« hast.
Nur wenn viele wissen, wie es ist, und die Scheu verlieren, kann sich etwas ändern und wirkliche Begegnung stattfinden. Kinder machen uns das vor, indem sie einfach fragen: »Wie is ’n das so?« Wären Sie ein Kind, würde ich Ihnen jetzt antworten: »Es ist nicht schlecht – es ist aber auch noch nicht so gut, wie es sein könnte.« Will heißen: Deutschland ist, vergleicht man es mit armen Ländern, ein gelobtes Land für Menschen mit Handicap. Vergleicht man es dagegen mit dem, was es sein könnte, fallen kleine Macken und große Mängel auf. Damit dies besser wird, sind alle Menschen gefragt, denn jene, die einen Unfall oder eine Krankheit erleiden, sind erst einmal auf die Hilfe von anderen angewiesen. Wir brauchen die Wahrnehmung und das Denken aller, damit wirkliche Barrierefreiheit und eben Inklusion erreicht werden können.
Ohne Beine aufzuwachen ist erst einmal ein Schock, egal wie
schnell, gut
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