Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
bleibt meist in weiter Ferne. Das fertige, erschwingliche Haus, das Glückshaus, das findet sich nur ganz selten. Vor allem, wenn es das Prädikat barrierefrei haben soll. Möchte ich eine solche Wohnung oder ein solches Haus für mich finden, muss ich schon sehr differenziert schauen. Ob da vorher vielleicht schon jemand gewohnt hat, der auch eine Behinderung hat. Oder vielleicht ein älterer Mensch, der sich sein Wohnumfeld so gestaltet hat, dass es stufenfrei ist. Oder ich habe genügend Vorstellungskraft, um mir etwas Bestehendes so umzudenken, dass es eine Baufirma umsetzen kann.
In diesem Zusammenhang hat übrigens für Rollstuhlfahrer der demografische Wandel durchaus Vorteile! Je größer der Anteil an älteren Menschen in der Gesellschaft wird, desto mehr finden sich auch Wohnungen und Wohnobjekte mit barrierefreier Ausstattung. Architekten wenden sich daher inzwischen immer häufiger in einem Teil ihrer Arbeit der barrierefreien
Planung zu. Eine bekannte Architektin in diesem Bereich ist Ursula Fuß aus Frankfurt. Seit 1993 sitzt sie nach einem Unfall selbst im Rollstuhl. Ihren Weg als Architektin weiter zu gehen, hat das nicht beeinflusst. Sie schreibt auf ihrer Webseite: »Barrierefreie Architektur ist eine gesellschaftliche Haltung. Barrierefreie Architektur fördert Fähigkeiten, die unsere Gesellschaft entwickelt hat, die unsere Forschung möglich macht und die Natur uns gegeben hat. Erst wenn wir begreifen, dass Fähigkeiten nur dann entwickelt werden können, wenn wir sie erleben können, erkennen können, werden wir Inhalte und Ziele der barrierefreien Gesellschaft formulieren. Architektur ist hier der wichtige Grundstein, sie schafft und stellt die Flächen zur Verfügung, um die unterschiedlichsten Fähigkeiten erlebbar zu machen und mit diesen in Berührung zu kommen.«
Architekten wie Ursula Fuß sind wichtig für Menschen mit speziellen Bedürfnissen oder mit einem Handicap. Natürlich vor allem für diejenigen, die gerade erst am Anfang ihres Weges auf vier Rädern stehen und noch keinerlei Erfahrungen mit dieser Materie haben. Oder jene, die ein bestehendes Objekt umbauen und auf ihre Bedürfnisse abstimmen möchten. Die können ganz toll von ihr beraten werden.
Noch vor wenigen Jahren war das Angebot viel geringer. Die Architekten tobten sich mit Reihenhausentwürfen aus und kein Mensch dachte darüber nach, dass irgendwann einmal jemand darin wohnen könnte, der sich auf den Treppen vielleicht nicht mehr leichtfüßig bewegen kann. Für jemanden wie mich ist es mühsam, viele Treppen steigen zu müssen, denn ich bewältige die Stufen auf meinen Händen. Besonders unangenehm ist das im Winter, wenn sich in Fluren oder Hauseingängen der Schmutz der Welt von draußen anhäuft. Wenn
die Treppen kalt und schmutzig sind von all dem Dreck, den die Menschen an ihren Schuhen hinein tragen.
Und selbst wenn ich ganz bequem mit dem Rollstuhl in einen Hauseingang rollen kann, gibt es gleich den nächsten Unterschied beim Komfort. Denn während Füßler sich ordentlich die Schuhe auf der Fußmatte abputzen können, schleppe ich den ganzen Dreck an meinen Rollstuhlrädern in die Wohnung. Erst wenn ich nicht mehr im Stuhl sitze, kann ich die Räder schön säubern. Per Hand, versteht sich; eine Maschine dafür, ein Pendant zur Schuhputzmaschine, hat noch keiner erfunden. Wäre aber ein praktisches Utensil ...
Meine Wohnung hat, zumindest für meinen Geschmack, Stil und ist dennoch praktisch eingerichtet. Auch das ist etwas, worüber Innenarchitekten in Bezug auf Menschen mit Behinderung früher nicht nachgedacht haben. Frei nach dem Motto, der oder die Betroffene solle bloß froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht in einem Heim leben zu müssen.
Ich habe Ansprüche. Genauso wie ich Ansprüche an meine Beziehung und an mein Erscheinungsbild habe, stelle ich natürlich auch Ansprüche an meine Wohnung. Ich will mich wohlfühlen. Und für einen Menschen mit Behinderung bedeutet das in erster Linie, dass man sich mit dem Rollstuhl frei bewegen kann. Was in vielerlei Beziehung eine gute Sache ist, denn wo man sich frei bewegen kann, ist es auch möglich, ordentlich sauber zu machen, ohne gleich den ganzen Hausrat verschieben zu müssen. Ich kann Schränke und Vitrinen nicht zu nahe aneinander stellen, wenn es eh schon knapp ist mit dem Platz. Ich muss darauf achten, dass sie eine gewisse Höhe nicht überschreiten, sonst kann ich sie nicht füllen oder mich aus ihnen bedienen.
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