Blue liquid (Kommissar Pfeifers erster Fall)
dass ihr eine Träne über die Wange lief, und sie blinzelte sie
überrascht weg. Nein, eine Svea Schirrer heulte nicht und sie würde garantiert
auch jetzt nicht mit diesem gefühlsduseligen Mist anfangen. Schließlich war sie
nicht wie ihre Schwester. Die wollte heiraten, Kinder kriegen, am besten einen
ganzen Stall voll, und sie heulte andauernd. Egal, ob es wegen eines
rührseligen Disney-Films war oder ob sie sich mit einem Kollegen stritt.
Mit einem wütenden Ruck warf sie ihre Decke zurück und sprang aus dem
Bett. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Wo ist nur mein Handy? Pauline
wird mitfahren. Dann fiel ihr ein, dass sie es gestern ja gar nicht aus der
Handtasche genommen hatte. Die Tasche musste irgendwo im Wohnzimmer liegen. Sie
machte sich auf die Suche.
Als sie das Chaos sah, das ihre Gäste hinterlassen hatten, sank ihre
sowieso schon miese Laune unter den Gefrierpunkt. Rafi hatte sie mit dem ganzen
Kram alleine gelassen. … und sie wird mir beim Aufräumen helfen , fügte
sie deshalb in Gedanken noch hinzu.
Svea
überlegte kurz, ob sie ihre Schwester jetzt so einfach anrufen konnte.
Schließlich hatte sie gestern Abend ja mit diesem Hauptkommissar, wie hatte der
nochmal geheißen, angebandelt.
Vielleicht
hatte sie ihn ja doch mit nach Hause genommen? Verschmitzt lächelnd dachte sie
an die vermeintliche Ausrede, die Pauline ihr aufgetischt hatte. Von wegen
Spaziergang, mitten in der Nacht . Doch dies war eindeutig ein familiärer
Notfall und sie, ihre Schwester, hatte definitiv Vorrang vor irgendwelchen
Typen.
Sie
hinterließ zwei Nachrichten im Abstand von 10 Minuten auf Paulines Mailbox und
drei auf ihrem Anrufbeantworter. Vermutlich schlief sie noch und würde später
bei ihr vorbeikommen.
Einstweilen übersah Svea das Durcheinander in Wohnzimmer und Küche
geflissentlich und versuchte ungeduldig, die Knoten aus ihren Locken zu reißen.
Es ärgerte sie, dass sie letzte Nacht zu faul gewesen war sich zu kämmen oder
sich wenigstens einen Zopf zu flechten, denn sie hatte es ja kommen sehen.
Neulich hatte sie eine tolle Kurzhaarfrisur in einer Zeitschrift entdeckt und
war sofort Feuer und Flamme gewesen, aber Rafi hatte ihr gedroht, sie zu
verlassen, falls sie sich jemals die Haare schneiden ließe. Das brachte sie auf
eine Idee. Vielleicht wäre ja eine Typveränderung zum jetzigen Zeitpunkt genau
das Richtige. Svea musste über die Doppeldeutigkeit dieses kleinen Wortspiels
lachen. Schade, dass heute Sonntag ist. Eigentlich wäre heute genau der
richtige Tag für einen Friseurbesuch gewesen. Ganz nach dem Motto: neue Frisur,
neues Glück .
Eine halbe Stunde später hatte sie es endlich geschafft. Ihre
widerspenstigen Locken waren gebändigt und zu einem ordentlichen, dicken Zopf
geflochten. Nun konnte sie schließlich doch noch ans Frühstück denken. Sie
hatte zwar keinen sonderlich großen Appetit, machte sich aber dennoch eine
Schale mit Obst zurecht. Was sie jetzt viel dringender brauchte, war Kaffee,
der würde ihre Lebensgeister wieder wecken.
Svea
mahlte den Kaffee noch selbst, mit der kleinen Kaffeemühle ihrer Großmutter.
Sie füllte die Kaffeebohnen ein und begann, an der Kurbel zu drehen, bis aus
den schwarzen Espressobohnen ein feines, duftendes Kaffeepulver entstanden war.
Das gab sie dann in ihre Kaffeemaschine. Nur wenige Minuten später war die
ganze Wohnung vom Duft des frischen Kaffees erfüllt und Sveas Laune besserte
sich schlagartig. Sie nahm ihre Tasse, ging ins Bad und begann mit den
Restaurationsarbeiten. Wenn sie das richtig überblickte, hatte sie die
Überarbeitung bitter nötig. Tiefe, dunkle, olympiaverdächtige Augenringe. Ihre
Augen waren geschwollen und ihre Nase sah irgendwie – rot? aus. Wieso war ihre
Nase bloß so rot? Geschickt begann sie, sich zu schminken. Sie entschied sich
für den hellblauen Lidschatten und die schwarze Wimperntusche und nach einer
Viertelstunde fand Svea, dass sie ganz passabel aussah.
Sie
ging wieder in ihr Schlafzimmer, zog sich ihre Lieblingsjeans und ein
übergroßes, knallgelbes T-Shirt an und beschloss, zu Paulines Wohnung zu
fahren. Svea kicherte albern, als sie sich vorstellte, wie sie ihre brave
Schwester sozusagen in flagranti mit dem Bullen erwischte.
7
Der Fremde hatte Pauline die Hände mit einem Kabelbinder auf den
Rücken gefesselt und ihr einen dreckigen Jutesack über den Kopf gezogen, der
bestialisch nach altem Fisch stank. Der Knebel, den er ihr in den Rachen
gerammt hatte, schmeckte nach Terpentin
Weitere Kostenlose Bücher