Bluescreen
verschlingen.
Wie kann ein System den Menschen einreden, dass sie auf die falsche Weise von ihrer Sexualität Gebrauch machen? Man muss ihnen beibringen, dass sie in ihren Händen formlos und roh ist. Erst wenn sie bearbeitet, mit Schichten von Expertenwissen überzogen, mit Normen durchwoben und mit Abbildungen versehen wurde und man sie ihren eigentlichen Eigentümern als Ware verkauft hat, kann sie sich als das erfüllen, was diese »schon immer wollten«. Brüste, die man sich zuvor weggehungert hat, kann man in Form von Implantaten erwerben. Man bekommt das ursprünglich kostenlose Gut auf unnatürliche Weise zurück, aber dazu muss es erst einmal zerstört werden.
Wie kann man Menschen davon überzeugen, dass Dinge, die scheinbar im Überfluss und kostenlos zur Verfügung stehen, knapp sind? Man muss nur die Reichweitejener neuen Normen ausdehnen, die ohne äußere Eingriffe nicht erfüllt werden können. Jugendlichkeit wird zum wichtigsten Kriterium im Wettbewerb um Sex. Das Überraschende daran ist nun nicht, dass Jugend sich als etwas Erstrebenswertes erweist, sie hatte schließlich schon immer ihren Charme, sondern dass man denken könnte, sie sei kein wirksamer Faktor in dieser Konkurrenzsituation, da sie doch zu Beginn des Lebens gratis an alle ausgegeben wird. Und doch ist Jugend von Natur aus flüchtig, an jedem gelebten Tag verlieren wir ein bisschen mehr davon. So kann sie zur fundamentalen Erfahrung des Vergehens einer Ware werden, zur Ur-Erfahrung des Veraltens. Außerdem hat sie jedem von uns zu einem bestimmten Zeitpunkt schon einmal gehört, so dass selbst die künstlichsten Mittel gerechtfertigt scheinen, weil sie für einen scheinbar »natürlichen« Zweck eingesetzt werden: Man verwandelt sich wieder in den, der man schon einmal war. Jugendlichkeit wird damit zu einem physischen Aspekt der Erinnerung: Jeder Konsument entdeckt winzige äußerliche Details wieder, von denen einzig er selbst je wusste (da man sich jeden Tag im Spiegel betrachtet, kennt niemand anderes die Geschichte des eigenen Gesichtes und des eigenen Körpers so gut wie man selbst). Nach wie vor behaupten wir, wir interessierten uns vor allem für die Schönheit, und die Schönheit umfasse nun einmal auch unsere Faszination für die Jugendlichkeit. Wer schön ist, hat eben irgendwie Glück gehabt; wir haben längst akzeptiert, dass Schönheit ungleich verteilt ist. Das Ideal der Jugendlichkeit hingegen ist gerade deshalb so viel wirkmächtiger, weil es sich dabei um etwas handelt, das wir alle permanent verlieren.
Der Wunsch, etwas wiederzuerlangen, das man verloren (oder nie wirklich genutzt) hat, führt letztendlich dazu, dass der Wettbewerb immer neue Bereiche erfasst. Die Konkurrenz lässt sich recht einfach anstacheln: Man benötigt dazu nichts Schändliches oder ein allzu großes Selbstbewusstsein, schon gar keine Kontrolle von oben (wobei es bisweilen angemessen sein kann, diesen Prozess metaphorisch als ein weiteres Feld zu beschreiben, das der Kontrolle unterworfen wird). Man braucht nichts weiter als eine Kultur, in der journalistische Gattungen wie Kommentare oder Klatschnachrichten (Nachrichtensendungen, Talk Shows, Ratgeber) begleitet und finanziert werden von Werbung für ästhetische und ästhetisierbare Produkte – von Hautcreme über Viagra bis hin zu Autos. Das ist zutiefst banal, aber genau darum geht es. Wenn die Menschen erst einmal davon überzeugt sind, dass sie jung bleiben müssen, wenn sie von anderen begehrt werden wollen; dass es unzählige Hilfsmittel gibt, um diesen Zustand zu bewahren; wenn man ihnen die Vermutung unterjubeln kann, dass Jugendlichkeit ein besonders reales und legitimes Kriterium der Attraktivität ist, dann wird die Konkurrenz durch das aufeinander bezogene Gerede all der Schwätzer weiter angeheizt: der professionellen Kommentatoren und Produktverkäufer, der hilfsbedürftigen Zuhörer und der ganz normalen Leute. Es gibt keine Normen, die vorab vorgegeben werden, sondern sie entstehen im permanenten Dialog zwischen dem zweifelnden Individuum und der wissenden Gesellschaft; oder zwischen dem Einzelnen, der aus heiterem Himmel etwas erfindet, und der »anpassungsfähigen« Kultur, die überall nach neuen Trends Ausschau hält: eine Dialektik, die im Rahmen eines Prozesses, der das Begehren – im Schlafzimmer, in Gesprächen, auf dem Marktusw. – kanalisiert, letztendlich im Inneren all der Menschen reproduziert wird, die an sich zweifeln (»Werde ich etwa allmählich
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