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Bluescreen

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Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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alt?«) und gleichzeitig nach Know-how suchen, um diese Entwicklung aufzuhalten (»Aber ich kann wieder jung sein!«).
    Was nun konkretes Anschauungsmaterial und Lehrbeispiele angeht, mag es für diejenigen, die sich auf der Suche nach der sexuell begehrenswerten Jugendlichkeit befinden, hilfreich sein, der Spur zu jenen zu folgen, die tatsächlich im Besitz von Jugend sind. Deshalb fachen die jungen Leute, die man uns in allen möglichen Formen (ob nun in der Werbung, im Starkult, in der Ratgeber-Literatur, im alltäglichen Gerede oder in Mythen) präsentiert, die Konkurrenz auch dann weiter an, wenn sie selbst gar nicht die »Zielgruppe« einer bestimmten Kampagne sind.
    Und doch sind die Jugendlichen in sexueller Hinsicht tabu. Dafür sorgen Gesetze, die Moral und – sichtbarer – die Institutionen, in denen sie unterwiesen und beschützt werden. Ein Erwachsener wird gar nicht die Gelegenheit bekommen, Studentinnen oder Studenten eines Colleges anzufassen, vor allem, weil diese in geschlossenen Institutionen leben. Angesichts der Gefahr, gefeuert und öffentlich bloßgestellt zu werden, haben Professoren im Lauf der Zeit gelernt, sich von ihren Studentinnen oder Studenten fernzuhalten. Genau genommen, sollten überhaupt keine Erwachsenen in Situationen landen, in denen sie intime Kontakte zu Highschool-Schülerinnen oder -Schülern haben, es sei denn, ihnen ist auch noch das letzte bisschen Gewissen abhandengekommen und das Gefängnis hat seine abschreckende Wirkung eingebüßt. Die schrecklichen Ausnahmen, Missbrauchsfälle in der wirklichen Welt, gehen, wie wir nur allzu gut wissen, meist von jenenaus, die die Kinder innerhalb der Institutionen unterrichten und behüten sollen: Grundschullehrern, Priestern, Babysittern und, bei Weitem am häufigsten, von Eltern und anderen Familienmitgliedern. Diese kriminelle Teilmenge steht in einer mehrdeutigen Beziehung zur allgemeineren Faszination. Für die Gesellschaft insgesamt, die die geschlechtsreifen, vom Markt der Sexualität jedoch durch Institutionen oder Gesetze Abgeschirmten, unablässig unter die Lupe nimmt, werden die Sexkinder zur perfekten Arena für den Wettbewerb, eine sagenumwobene Ware, die in ihrer reinen Form schlichtweg unerreichbar ist.
    Daher rührt das finale Dilemma einer kapitalistischen Gesellschaft, die vom vergeblichen Streben nach absoluter Freiheit regiert wird und von Sexkindern wie besessen ist: Einerseits sind die jungen Leute vor allem deshalb so faszinierend, weil sie die Jugend (die wir für uns selbst, gerade wegen der Wettbewerbsvorteile, die sie uns verschaffen kann, so gerne hätten) in ihrer vollkommensten Form besitzen. In biologischer Hinsicht sind sie die Superreichen, deren Vermögen wir plündern wollen, weil wir spüren, dass sie keine Ahnung haben von den Schätzen, die sie da hüten. Aus reinem Zufall befinden sie sich an der Spitze der Hierarchie. Das Begehren nach der Sexkindheit ist insofern die Vollendung des wettbewerbsorientierten Systems . Andererseits ist das individuelle Sexkind innerhalb dieser Ordnung die einzige Gestalt, von der man annimmt, sie befände sich außerhalb des Wettbewerbs. Eine Gestalt, in deren Händen die Sexualität noch ein natürliches Gut ist, ungeschmälert, eine Gabe, reine Potenzialität, nichts, was knapper und permanent durch unsere abnehmende Attraktivität und unser Altern gefährdet wird. Für Sexkinder bleibt Sex eine vollkommen neue Erfahrung der Freiheit und Wahrhaftigkeit, und er birgt das Versprechen, so etwas wie ein besseres Selbst formen zu können. Was die Fleischeslust anbelangt, sind die Teenager keineswegs unschuldig, doch sie sind noch nicht Teil des sündhaften Wettbewerbs. Eine Sexkindheit zu begehren, wird daher zum Wunsch nach Freiheit vom System. Das Sexkind selbst kann dann eine personifizierte Utopie sein, wenn er oder sie jene brutale Dystopie stützt, der er oder sie mit seiner oder ihrer Jugendlichkeit das zentrale Prinzip der Konkurrenz liefert.
     
     
     
    Während ich an einem ersten Entwurf dieses Essays arbeitete, waren die Nachrichten voll von Berichten über eine 22-jährige College-Studentin aus North Dakota, Dru Sjodin, die entführt und ermordet wurde, als sie gerade die Victoria’s-Secret-Filiale verlassen hatte, in der sie als Verkäuferin arbeitete. Die Polizei verhaftete einen fünfzigjährigen »Triebtäter dritten Grades«, der auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums erkannt worden war, obwohl er fünfzig Kilometer entfernt in Minnesota

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