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Bluescreen

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Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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konnte allenfalls Verbesserungen herbeiführen. Der Philosoph strebte jedoch eine Republik an, da er diese Staatsform entschieden bevorzugte.)
    Rousseau ging davon aus, dass in einer wahrhaften Republik Vorführungen der alltäglichen Aktivitäten der Bürger für Unterhaltung sorgen würden: Sie würden singen,Gebäude errichten, basteln, tanzen oder ihre Schönheit und Athletik zur Schau stellen. Diese Aufführungen würden den Zuschauern Vergnügen bereiten und sie »unterhalten«, weil die Bürger nicht nur selbst etwas leisteten, sondern weil sie sich dabei zusahen – sie wurden zu einem Schauspiel für sich selbst, aber auch für alle anderen, für ihresgleichen, für ihre Mitbürger, die wiederum exakt die gleichen Sachen machten. Wahrhaft republikanische Belustigungen würden also oft die Form eines Wettbewerbs oder der Vorführung bestimmter Fähigkeiten annehmen. Sie könnten aber auch zu einer besonderen »Feier« des alltäglichen Lebens selbst werden – zum »Fest«: »Pflanzt in der Mitte eines Platzes einen mit Blumen bekränzten Baum auf, versammelt dort das Volk, und ihr werdet ein Fest haben. Oder noch besser: Stellt die Zuschauer zur Schau, macht sie selbst zu Darstellern, sorgt dafür, daß ein jeder sich im andern erkennt und liebt, daß alle besser miteinander verbunden sind.« 2
    »[S]tellt die Zuschauer zur Schau«: Eigentlich hat man genau das in einem bestimmten Teilbereich des Fernsehens von jeher gemacht. In unterschiedlichen historischen Phasen kam das jeweils in anderen Formaten zum Ausdruck. Man denke beispielsweise an: lokale Sender mit eigenem Programm, den Huntley-Brinkley Report , die überregionalen 18-Uhr-Nachrichten oder die 23-Uhr-Lokalnachrichten, an Talkshows und Talentshows, an This Is Your Life oder Wheel of Fortune , eine Show, mit der man außerdem auf Tour ging – nach Florida, Hawaii oder Las Vegas.
    Akzeptiert man jedoch, dass die wichtigste Funktiondes Fernsehens wohl schon immer darin bestand, es den Bürgern zu ermöglichen, sich in unserem einzigen wirklich nationalen Medium gegenseitig zu sehen und zugleich auch – vermittelt durch so etwas wie unsere persönlichen Repräsentanten – gesehen zu werden , dann bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu fragen, wer oder was dergleichen in der Gegenwart am ehesten leisten kann. Das Reality- TV mag so etwas darstellen wie die düstere Apotheose des rousseauischen Ideals – doch es ist das Format einer Zeit, in der das Lokalfernsehen zu Tode gespart wurde; in der man von regionalen Unterschieden sagt, sie nähmen ab (oder würden zumindest sehr viel seltener offenbar); in der die Nachrichtensendungen immer häufiger im Dienst der Anzeigenabteilungen stehen, weshalb sie ihre Autorität verwirkt haben, wo es darum geht, das Gemeinwesen zu repräsentieren.
     
     
     
    Wir brauchen Mythen. Und das gilt nicht nur in Bezug auf unsere Ideale und unseren Durchschnitt, sondern auch in Bezug auf unsere gefallenen Extreme. Seitdem in den USA in den siebziger Jahren rechtliche Regelungen zum sogenannten »informed consent« (also zur Aufklärung bzw. zu den Anforderungen, die erfüllt sein müssen, wenn ein Patient, Proband, Studienteilnehmer usw. freiwillig an einer Studie oder an einem Experiment teilnimmt; Anmerkung des Übersetzers) verabschiedet wurden, ist das Goldene Zeitalter der Sozialpsychologie vorüber. Vorbei die Zeit, in der Stanley Milram zeigte, dass Durchschnittsbürger die Voltzahlen der Stromstöße unter den Schreien gefolterter Schauspieler in den roten Bereich treiben, solange ein Versuchsleiter im Labormantel entsprechende Anweisungen gibt. Vorbei die Zeit der Studien eines Philip Zimbardo, der zeigte, dass Stanford-Studenten in der Rolle von Gefängniswärtern bereit sind, Kommilitonen in der Rolle von Gefangenen sadistisch zu quälen, wenn man sie willkürlich in zwei Gruppen aufteilt, im Keller einsperrt und mit den notwendigen Gerätschaften alleine lässt. Vorbei auch die Zeit, als Harold Garfinkel demonstrierte, dass Menschen zu Berserkern werden können, wenn man sie im Aufzug anstarrt oder wenn Kinder so tun, als würden sie die eigenen Eltern nicht mehr erkennen. In solchen Angelegenheiten sind wir heute auf Formate wie Elimidate , Punk’d oder Survivor angewiesen. Reality- TV zu kucken ist insofern so ähnlich, als ginge man durch einen sehr langen Flur in einem gewissenlosen und zugleich auf merkwürdige Weise geschäftigen Psychologie-Institut.
    Der erste Idealtypus der Reality- TV

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