Bluescreen
Vornehmheit, Exzellenz und wahrer Individualismus können nur durch Umverteilung, nicht durch Wohltätigkeit entstehen, und zwar in einer Gesellschaft, die von vornherein so angelegt ist, dass krasse ökonomische Ungleichheit sich gar nicht erst herausbilden kann. Dann hätten wir es mit einer guten Gesellschaft im weitesten Sinne zu tun, einer Gesellschaft, in der das Leben lebenswert wäre, weil man nach dem guten Leben (also einem Leben, das Moralität und angemessenen Luxus vereint) streben könnte, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln.
Das Wesen des Individualismus liegt in der moralisch relevanten Ungleichheit. Der Missbrauch beginnt dort, wo die Ungleichheit auf Wohlstand gründet, und nicht auf Fähigkeiten; auf Geburt, und nicht auf Talent; auf der Position in der gesellschaftlichen Hierarchie, und nicht auf Begabung; auf Geld, das sich auf andere übertragen lässt, und nicht auf Handlungen oder Erzeugnissen, die nur von einem selbst vollbracht oder produziert werden können. Diese Verzerrungen zeigen das Ende einer individualistischen Gesellschaft an. Ökonomische Ungleichheit erzeugt ein System, das alle Menschen drastisch einschränkt, indem sie jedem Einzelnen einen Platz in einer Rangordnung zuweist, die in der Hölle beginnt und bis zum Mond reicht. Der gemeinsame Maßstab des Dollar führt dann dazu, dass diese so genannten »Individualisten« sich alle an denselben Interessen und Begierden ausrichten, so dass praktisch nichts Individuelles mehr übrig bleibt.
Immer wieder hört man, dass es allen umso besser geht, je reicher die Reichen sind. In Wahrheit sind die Dick Cheneys dieser Welt allerdings deshalb so übergewichtig, weil sie den anderen das Essen wegfressen. Die Lehre von der Trickle-down-Ökonomie ist nichts anderes als eine Ernährungsphilosophie: Je mehr die Reichen essen, je mehr Schwarten sie sich in die Rachen stopfen, desto stärker profitieren angeblich wir auf den unteren Stufen der sozialen Pyramide. Selbst wenn das wirklich funktionieren würde, würde man doch nie den Gedanken los, dass alles, was da an uns weitergereicht wird, bereits vorgekaut wurde und durch die Mägen von Menschen gereist ist, die reicher sind als man selbst. Es hat zunächst einmal sie sehr viel fetter gemacht und denjenigen Nahrung im Übermaßverschafft, die es nicht verdienen. Auch ihre Denkmäler, die wir so sehr bestaunen, sind aus Abfällen errichtet. Aber warum die Welt als Exkrement erwerben? Warum sollten wir sie nicht in ihrer moralisch ursprünglichen Form an uns nehmen? Ohne den Umweg über die Reichen?
§ Gesetzesinitiative Nr. 3: Es wäre am sinnvollsten, wenn wir einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten hätten, die dem Wohlstand auf ewig abschwören würden. Wer im Namen des demos herrscht, muss nicht aus dem demos kommen. Aber er sollte zu einem Teil des demos werden. Er sollte zu den Menschen gehören, für deren Unterstützung er vor allem verantwortlich ist – und das bedeutet: zu uns.
Rückentwicklung ist das zweite Katastrophenszenario, das Gegner meines Vorschlags für den Fall vorhersehen, dass wir dem menschlichen Glück Vorrang vor der Produktivität einräumen. Über Jahrhunderte hinweg spukte in den Hinterköpfen der westlichen Welt die Vorstellung herum, die technologische Entwicklung könne irgendwann einen Punkt erreichen, an welchem eine demokratische Gemeinschaft der Ansicht sein würde, dass es nun reiche oder dass man die Richtung ändern müsse – so wie die Einwohner Erewhons, die in Samuel Butlers gleichnamiger Utopie ihre Maschinen zerstören.
Heute sind wir in der Lage, uns ein präziseres Bild von den Alternativen zu machen: Es geht weder um die grenzenlose Hybris des Laissez-faire, noch um irrationale Maschinenstürmerei. Für ein Land, in dem der Fortschritt durch die voneinander unabhängigen Handlungen Einzelner in einigen Bereichen sehr viel weiter getrieben wird (etwa bei der Zerstörung der Landschaft und der Erdatmosphäre), als es irgendjemandem lieb sein kann, während er in anderen (man denke an die Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge) längst nicht weit genug geht – für ein solches Land wäre bewusste Rückentwicklung womöglich das Beste, was überhaupt passieren könnte. Natürlich wollen wir alle, dass immer mehr Krankheiten ausgerottet werden, dass Nahrungs- und Transportmittel zur Verfügung stehen und dass das Justizsystem sowie die Landesverteidigung einigermaßen funktionieren. Aber brauchen wir wirklich immer
Weitere Kostenlose Bücher