Bluescreen
das man Werbeblöcke schalten kann) – einmal mehr begegnen wir dem Argument, Nachrichten seien einfach notwendig, ein verlogenes Narrativ, das allein dazu dient, alle anderen Erzählungen und Dramen zu rechtfertigen. Es kann gut sein, dass man selbst in den Büros bald Fernsehgeräte haben wird, wobei sie dort eigentlich unnötig sind, da sich in der Arbeitswelt schließlich genug Dramen ereignen, von denen wir freilich auch wieder nur über Bildschirme erfahren – die unserer PC s nämlich. Wenn ich bei Yahoo meine Mails lese, werdendiese ebenfalls von medialen Erzählungen begleitet: von Schlagzeilen, die von fernen Ereignissen künden (»56 Tote in X«, »100 Tote in Y«); von Ausschnitten aus Hollywood-Filmen; von Werbung für Dating-Websites, die versprechen, eine neue Partnerin für mich zu finden und somit auch mein Leben nach dem Modell der Fiktion zu dramatisieren.
Das Glück hat sich also in eine Ideologie der permanenten Begierde nach Erfahrungen verwandelt. Nun gut, immerhin ist es unsere »Gesundheit« und unser Streben. Aber wird dieses Glück durch Erfahrung nicht seinerseits durch das permanente Geratter der starken, medial vermittelten Erfahrungen reguliert und abgeschwächt, die letztendlich in ihren Zuschauern keine starken Emotionen mehr auslösen, sondern eher so etwas wie einen hybriden Zustand, bei dem sich vorübergehende Entspannung mit permanentem Begehren vermischt? Wird die Welt der totalen Ästhetisierung, in der wir leben, damit nicht zugleich ästhetisch und anästhetisch? Wir wissen, dass die Werbung unser Begehren auf bestimmte Produkte lenkt – und machen uns darüber keine großen Gedanken. Es ist ja nur Werbung. Auch die Erzählungen erzeugen und kanalisieren Bedürfnisse. Ich vermute, dass all diese Erzählungen und Dramen paradoxerweise in der Lage sind, die Begierde abzuschwächen, zu strecken oder hinauszuzögern, bis wir an einen Punkt kommen, ab dem sich das Begehren unablässig mobilisieren lässt, ohne dass dies dem Betrachter wehtäte oder ohne dass dabei seine Persönlichkeit zerstört würde. Dies zögert den Übergang zur Anti-Erfahrung hinaus, so dass das nicht darauf vorbereitete, nicht bereits betäubte Individuum in keine radikale Krise gerät, wenn es all diesen Dramen, Schrecknissen, drastischen Darstellungen, ökonomischen Anforderungen und neuen Bedürfnissen – jeweils einzeln – zum ersten und einzigen Mal begegnet.
Ich denke, dass diese Überlegung nicht ganz verkehrt ist; so würden dieses System und die damit verbundenen Gefahren einen Sinn ergeben. Das Problem wäre dann allerdings, dass der durch die Dramen induzierte anästhetische Zustand zumindest bei manchen Menschen mit der Zeit nachlassen würde. Ihre Erfahrungs-»Krankheit« bestünde somit darin, dass die ästhetischen Ereignisse ihre ursprüngliche, einzigartige Kraft wiedererlangen, weshalb die Person, die eigentlich geschützt und im Gleichgewicht sein sollte, jede einzelne (reale oder medial vermittelte) Erfahrung mit voller Wucht erleben würde.
Wenn Menschen in unserer Gesellschaft plötzlich nicht mehr in der Lage sind, den endlosen Strom der medial vermittelten Erfahrungen zu ertragen, wenn sie vielmehr jedes einzelne Ereignis so erleben, als ob es ihnen persönlich zustoßen würde – als ob die Fiktionen real wären, und das Reale (die Unfälle, Enthauptungen, die Tausenden von Toten, über die die Nachrichtensender berichten und die sie dadurch als real beglaubigen) doppelt real –, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich zurückziehen. Natürlich wird ihnen angst und bange, wenn sie jede Erzählung und jeden Bericht über Dinge, die sich irgendwo in der Welt abspielen, wahrnehmen, als beträfen sie ihr Privatleben und ihr individuelles Drama. In gewisser Weise werden sie dazu teilweise ja sogar aufgefordert von einem System der Repräsentationen, das nicht wirklich daran glaubt (und auch gar nicht will), dass irgendjemand all das tatsächlich ernst nimmt. »Wenn nämlich irgendjemand durch eine Täuschung dazu gebrachtwürde zu lernen, dass uns keines der äußeren und unserer Entscheidung unzugänglichen Dinge betrifft«, sagt Epiktet, »dann würde ich zwar diese Täuschung hinnehmen, durch die ich glücklich und ungestört leben könnte; ihr aber werdet selbst sehen, wofür ihr euch entscheiden wollt.« 12
Ich sehe: abgetrennte Köpfe; ein supergünstiges Sparmenü; mit Kajal geschminkte Augenlider; Sommerschlussverkauf bei Kohl’s; Rot, das zwischen den
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