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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Fingern der behandschuhten Hand hindurchrinnt, die auf die Wunde presst: »Herr Doktor, können Sie ihn retten?« – »Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.« Das rot gestrichene Esszimmer des frisch renovierten Hauses, oft sind satte Farben einfach am besten. Kinder, die sich über ihr großzügiges Zimmer freuen. Der Böse bricht tödlich getroffen zusammen. Jemand schießt auf die Polizisten. Den neuen Lexus kann man jetzt auch leasen. Oder auf CNN : Schilf, das sich friedlich im Wind wiegt, im Hintergrund ein abgestürzter Hubschrauber; plötzlich werden die Halme im Vordergrund niedergetrampelt; Stiefel; eine Fernsehkamera; Rettung naht; der Kameramann findet den überlebenden amerikanischen Piloten; er erschießt ihn; die Terroristen haben das Video gedreht; sie zeigen es noch einmal. Szenen aus Werbespots: Straßen, Menschen, die ruhig einkaufen; Alltag. Mit Planen abgedeckte Leichen auf dem Asphalt. Der blaue Himmel wirbt für die Farbe des neuen Autos. Was immer Ihnen passieren mag, es wurde bereits gefilmt, als es jemand anderem widerfuhr. Bei Red Lobster sind Shrimps-Wochen. Mit Clorox bekommt man die Blutflecken raus. Advil stoppt denSchmerz, schnell. Einige von uns werden etwas Stärkeres brauchen.
     
     
     
    Ich weiß nicht, warum jemand an einem bestimmten Punkt zusammenbricht. Die Gründe sind in jedem Einzelfall andere, sie sind irgendwo in der Tiefe der Persönlichkeit zu finden. Irgendwann hält man die allgegenwärtigen ästhetischen Darstellungen, welche die anderen immer noch ruhig und blasiert ertragen, einfach nicht mehr aus. Selbst wenn dieser unablässige Strom starker Empfindungen zuvor eine anästhetische Wirkung gehabt haben mag, so lässt diese jetzt bei einem einzelnen Menschen plötzlich nach, und das wird als Schock erlebt. Der fassungslose Leidende kann einfach nicht verstehen, was da mit ihm geschieht.
    Er wird also versuchen, den anästhetischen Schutzschild wiederherzustellen. Zunächst wird er auf die janusköpfigen Strategien setzen, jene, die uns in bestimmten Dosen zusätzliche Erfahrungen verschaffen, in anderen Dosierungen jedoch davor abschirmen: Alkohol, Sex, weitere Formen des Ausbruchs aus der Normalität. Dann gibt es die schrecklichen Depressionen, unfassbar und schmerzhaft. Natürlich stehen Medikamente zur Verfügung sowie die etablierten Glaubenssysteme und Praktiken, vom Buddhismus über andere östliche Philosophien bis hin zum Epikureismus oder Stoizismus und somit zum Ursprung der abendländischen Kultur. Sie alle warten nur darauf, für unsere heutigen Zwecke umgedeutet zu werden. Selbstredend stehen auch noch die offiziellen christlichen Konfessionen bereit, die ich bislang gar nicht erwähnt habe. Und natürlich kann man sich einfach einschließen und das Haus nicht mehr verlassen.
    Doch dann ist da auch noch der Traum von einem anderen ästhetischen Regime, von einer Welt, in der nur ganz normale, lokale, kleine, repetitive, ja in gewisser Weise widerspenstige Dinge zum Gegenstand der ästhetisierten Erfahrung würden. Dinge also, die jedem von uns jeden Tag widerfahren. Dadurch würden die großen Repräsentationen, die medialen Dramen und Erzählungen, wie wir sie heute kennen, grundsätzlich infrage gestellt. Ist es zu viel verlangt, wenn man sich nach Büchern sehnt, in denen es nicht um Konflikte und Katastrophen geht, sondern um alltägliche Begebenheiten, die von dem gelassenen Individuum miteinander verknüpft werden, das sie erlebt? Nach Fernsehsendungen, in denen die Menschen einfach nur ruhig dasitzen, die anderen zur Kenntnis nehmen, sich Sonnenaufgänge ansehen, vor sich hin tippen, reden oder Mahlzeiten zubereiten, ohne dass sie dem Zuschauer erklären, wie es funktioniert? Sendungen, in denen die Menschen ihren alltäglichen Angelegenheiten nachgehen in dem stumpfen, aber auch beruhigenden Bewusstsein, dass der heutige Tag auch nicht großartig anders verlaufen wird als der gestrige? Kann man diesen harmlos-unbeschwerten Zustand der Gnade auf Endlosschleife schalten? Ist es denkbar, dass wir eine Form der »ästhetischen« Repräsentation für all jene entwickeln, bei denen der übliche anästhetische Schutz nicht mehr wirkt, die allerdings vor den inhumanen und restriktiven Ideologien zurückschrecken? Können wir heute, inmitten all der Technologie, noch so leben wie die Epikureer in ihrem Garten? Was bliebe uns ohne all die Fiktionen, Dramen und »Erfahrungen«? Unser Leben. Vielleicht sind die zaghaften Gehversuche der

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