Blüten, Koks und blaues Blut
Kommissar Pellegrini aus dem Spiel, er hat
Schonung verdient!“
Bevor ich das Zeitungsgebäude verließ, schloß
ich mich in der Toilette ein und überprüfte meine Automatic. Sie mußte
genauso reibungslos funktionieren wie mein Verstand. Der Anfall von
Mutlosigkeit, der mich einen kurzen Moment lang beherrscht hatte, war vorüber.
Draußen winkte ich ein Taxi ran und bat den
Chauffeur, kräftig aufs Gaspedal zu treten. In der Strauchheide kurz vor Cannes
ließ ich ihn halten. Als ich den Weg zur Pergola einschlug, überholte
mich ein älterer Mann mit seinem Fahrrad. Dieser hier saß aber tatsächlich im
Sattel und strampelte sich ab. Es war der Briefträger. Er stoppte und fragte
mit sympathischer Direktheit:
„Kommen Sie vielleicht an der Pergola bei
Madame Saint-Cernin vorbei, M’sieur? Könnten Sie wohl die Briefe hier
mitnehmen? Dann brauche ich nicht extra hinzufahren. Meine Beine sind nicht
mehr die neusten, müssen Sie wissen...“
Bevor er mir seine Krankengeschichte erzählten
konnte, willigte ich ein. Er gab mir zwei Briefe, tippte mit dem Finger an
seine verbeulte Schirmmütze und trat wieder in die Pedale, diesmal in
entgegengesetzter Richtung. Wahrscheinlich hielt er Ausschau nach weiteren
Boten, auf die er seine Briefsendungen verteilen konnte. Bei diesem System
mußte die Verlustziffer erheblich sein.
Raymondes Haushälterin teilte mir mit, daß
Madame nicht zu Hause sei. Ich gab ihr eine genaue Beschreibung von Mado
Poitevin. Ob sie die junge Frau gelegentlich hier gesehen habe, wollte ich von
ihr wissen.
„Also, ich weiß nicht“, antwortete sie zögernd. „Nein,
wirklich nicht... Wissen Sie, es kommen so viele Leute hierher...“
„Na ja, so furchtbar viele sind’s nun auch
wieder nicht. Ich jedenfalls hab in La Pergola noch keine großen
Tischgesellschaften gesehen!“
„Das stimmt... seit ein paar Tagen. Vorher war
das anders. Wahrscheinlich sind die Bekannten von Madame alle verreist...“
„Hat Ihnen Madame Saint-Cernin gesagt, wann sie
zurückkommt?“
„Nein, Monsieur.“
„Dann ruf ich später an“, entschied ich, einen
Fuß bereits auf dem Kiesweg.
„Das Telefon ist noch kaputt, Monsieur“, erinnerte
mich die Frau.
„Ach ja, stimmt! Immer noch? Also, die haben’s
hier aber wirklich nicht eilig! Wie lange ist der Apparat jetzt schon kaputt?“
„Seit dem 24.“, antwortete sie nach kurzem
Nachdenken.
Ich stieg in das wartende Taxi. Kurz darauf
rollten wir über die Croisette. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, daß es
schon recht spät war. Ich ließ mich zu Frédéric Pottiers Schlupfwinkel fahren.
Wie erwartet, war es gar nicht so einfach, in
seine Wohnung zu kommen. Wir verhandelten ein paar Minuten durch die geschlossene
Tür hindurch, dann öffnete sich Sesam. Mit der linken Hand hielt Frédo die Tür
fest, in der rechten seinen Revolver.
„Ihre Vorsichtsmaßnahmen machen Sie direkt
verdächtig“, bemerkte ich. „Und so ungeschickt, wie Sie das Ding da halten,
schießen Sie sich noch selbst ins Bein! ... Aber sagen Sie, wo ist Ihr
Untermieter? Abgehaun?“
„Würde Sie das stören?“
Frédo behielt seinen feindseligen Ton bei.
„Mich?“ Ich zuckte die Achseln. „Will nur ein
Stück Papier von ihm wiederhaben, das ist alles.“
„Es geht schon nicht verloren“, meldete sich
Marcel Chevalme mit Grabesstimme zu Wort.
Er stand in der Tür, die ins Nebenzimmer führte.
Ringe unter den und ein seltsamer Glanz in den Augen, fahle Gesichtsfarbe: Der
Arzt machte einen deprimierenden Gesamteindruck. Ich ging mit ihm in das
angrenzende Zimmer. Es machte denselben Eindruck wie sein Bewohner. Sah aus wie
ein Zwischenlager für Druckerzeugnisse. Überall stapelten sich Zeitungen und
Zeitschriften. Auf dem Boden, auf dem Tisch, auf dem niedrigen Sofa. Die Sammlung
gehörte Pottiers Vormieter.
„Na, hier brauchen Sie sich aber wirklich nicht
zu langweilen“, sagte ich, um etwas zu sagen.
„Das meiste stammt aus der Zeit, als ich im
Knast saß“, erklärte Chevalme.
„Interessant?“
„Sehr“, flüsterte er, und der seltsame Glanz in
seinen Augen verstärkte sich.
Er zog Covets Brief aus der Gesäßtasche und gab
ihn mir.
„Und das hier auch“, fügte er hinzu.
„Klar, für Sie als Hauptbeteiligten!“ lachte
ich. „Freut mich, daß ich Ihnen ein paar nette Stunden verschafft habe... Übrigens,
ich hab noch was Interessanteres für Sie: Der Mann, der vor Ihren Augen
gestorben ist, hieß Ronald Kree. War früher mal bei Harock und
Weitere Kostenlose Bücher