Blütenrausch (German Edition)
unentwegt nach draußen. Nach ein paar Sekunden, als die Silhouette des Mannes hinter einem Gebüsch verschwand, gewann sie endlich wieder ihre Fassung zurück.
Dann passierte wieder etwas Merkwürdiges. Sie hob den Strauß, und als sie ihn in Augenhöhe hielt, hielt sie wieder inne und runzelte die Stirn, als ob sie überlegen müsste, was sie denn da überhaupt tat. Oder konnte sie sich nur schwer von dem Strauß trennen? Ich verwarf diesen Gedanken gleich wieder, denn ich wusste, dass dies nicht ihr Brautstrauß war, sondern der Ersatzstrauß, den sie in Auftrag gegeben hatte, und nur zu diesem Zweck bestimmt war ‒ das tun viele Bräute, um ihren eigenen Brautstrauß als Erinnerung zu behalten.
Schließlich zuckte sie kurz mit den Schultern und warf mit voller Wucht den Strauß nach hinten.
Nach einem kurzen Gedrängel landeten die schönen Blumen in den Händen einer dun kelhaarigen Mittzwanzigerin. Ich konnte sie nicht einordnen, aber bei näherer Betrachtung, hätte ich schwören können, dass sie eine Verwandte des Bräutigams war. Ihr Gesicht hatte ähnlich markante Züge, wie die seiner Mutter. Eine Cousine oder Nichte vielleicht. Sie kreischte vor Glück, und die anderen Frauen gratulierten widerwillig, denn man sah ihnen an, dass sie selbst den Strauß gerne gefangen hätten.
»So, und jetzt, Ladies and Gentlemen ...« Mit diesen Worten zog Mina wieder die volle Aufmerksamkeit auf sich. »… please , machen Sie das Parkett frei für our wedding couple . Sie werden jetzt den Tanz mit einer wunderschönen Ballade von Percy Sledge eröffnen.« Mina wartete bis die Gäste zurückwichen und Natalie und ihr Mann bereitstanden, dann drehte sie ihren Kopf zu Jerry, der an der Musikanlage stand, und gab ihm ein Zeichen, das Lied aufzulegen. Kurz darauf klebte sie das Mikrofon an ihren Lippen und flüsterte mit sinnlicher Stimme: » When a man loves a woman ...«
Die Musik ertönte, und das Brautpaar schmiegte sich eng aneinander und begann, nach der Melodie zu tanzen. Der Bräutigam sah dabei Natalie die ganze Zeit verliebt an. Sie erwiderte seinen Blick mit zärtlicher Miene, trotzdem bemerkte ich, dass ein Teil ihrer Gedanken ganz woanders waren. Vermutlich hingen sie noch dem nach, was soeben am Fenster passiert war. Wer war bloß dieser Mann? Meine Neugier ließ mich nicht los, doch als Natalie ihren Kopf etwas entspannter zur Seite hängen ließ, entspannte auch ich mich. Nach ein paar Drehungen, gerade als ihr Mann mir den Rücken, und sie mir ihr Gesicht zuwandte, konnte ich jedoch beobachteten, dass etwas nicht stimmte. Ihre Augen weiteten sich, als sei sie gerade von einer Tarantel gestochen worden. Mein erster Gedanke war, ihr tollpatschiger Mann ist ihr auf den Fuß getreten, aber dann merkte ich sofort, dass ich mich irrte. Jetzt ging alles sehr schnell. Sie hob kurz ihren Kopf und krallte sich an den Hals ihres Mannes. Eine Sekunde lang starrte sie ihn noch fassungslos, mit geöffnetem Mund, an.
Dann sackt e ihr gesamter Körper in sich zusammen.
Im Hintergrund erklang noch die gefühlsbetonte Stimme des Sängers, der einfühlsam über die Liebe eines Mannes zu einer Frau sang.
Der schnellen Reaktion des Bräutigams war es zu verdanken, dass Natalie nicht auf den Boden knallte. Er hielt sie fest und rief ihren Namen. Als er sah, dass sie nicht reagierte, schrie er nach einem Arzt und vergaß dabei, dass er selbst einer war.
Blitzartig griff Wentold nach einer Decke, die hinter einer der Boxen verstaut und für den Transport der Anlage gedacht war, und breitete sie auf dem Boden der Bühne aus. Mittlerweile lag Natalie in den Armen ihres Mannes. Er trug sie zur Bühne und legte sie auf die Decke.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich von meinem Schreck erholt hatte, danach griff ich schnell nach meinem Handy und verließ fluchtartig den Saal. Die Musik und das besorgte Gemurmel der Gäste hätten den Anruf nach einem Rettungswagen erschwert. Ich wusste nicht, was mit Natalie passiert war, ich tippte aber auf eine Ohnmacht, die wahrscheinlich durch eine Unterzuckerung und den Stress verursacht worden war. Sie hatte nie erwähnt, dass sie Herzprobleme hatte oder an anderen schwerwiegenden Krankheiten litt. Trotzdem: Sicher war sicher.
Ich hatte den Rettungswagen gerufen und wollte mich gerade wieder in den Saal begeben, als ein ohrenbetäubender verzweifelter Schrei die Musik durchdrang und an meine Ohren prallte. Sämtliche Nerven meines Körpers sandten meinem Gehirn eine
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