Blütenrausch (German Edition)
schauderhafte Botschaft, als sei mein Körper soeben von einem Elektroschock durchströmt worden.
Ich holte tief Luft und stürmte in den Saal hinein.
Die Gäste hatten sich alle um die Bühne versammelt, sodass sie mir den Blick versperrten, als ich rein kam. Ich kämpfte mich durch die Menge. Ein älterer Herr, mit weißem Haar und Bart, kniete neben dem Bräutigam und hielt noch die Hand der Braut in seiner. Wie ich später herausfand, war er einer der unzähligen eingeladenen Ärztekollegen des Bräutigams und ein Freund des Vaters der Braut. Er sah mich an, dann schüttelte er mit trauriger Miene den Kopf.
Natalie war tot.
Und keiner hatte die verdammte Musik ausgeschaltet.
Als Natalie starb, war es fast Mitternacht. Ironie des Schicksals: Ich bin mir sicher, wenn sie hätte tauschen können, wäre sie lieber vor ihrer eigenen Hochzeit abgehauen, hätte ihr elegantes Kleid der guten Fee zurückgegeben und würde fortan als armes Aschenputtel bei einer fiesen reichen Frau mit zwei genauso fiesen Töchtern arbeiten, als zu sterben. Denn dann gab es zumindest Hoffnung auf ein Happy End. Leider hatte sie keine Wahl gehabt. Der Tod traf sie plötzlich und unerwartet.
Ich spürte eine Hand an mein em Arm und drehte mich um. Mina starrte mich mit feuchten Augen an. »Wie konnte das passieren?«, flüsterte sie. »Sie war doch noch so jung ... und es war ihre Hochzeit …« Sie wollte weiter reden, doch Wentold nahm sie in den Armen und führte sie weg.
Mein Blick wanderte umher. Um mich herum sah ich nur noch von Trauer und Fassungslosigkeit geprägte Gesichter. Die Mutter der Braut musste von ihrem Mann festgehalten we rden, damit sie nicht auch gleich vor Verzweiflung tot auf ihre Tochter fiel. Der Bräutigam kniete neben seiner Frau, hielt die Hände auf dem Schoß und starrte die Tote mit leeren Augen an. Einer seiner Freunde versuchte ihn zu überreden aufzustehen und sich zu setzen. Er aber versteifte seinen ganzen Körper, um zu signalisieren, dass er sich nicht vom Fleck rühren würde.
Ich kämpfte mit aller Macht gegen mein früheres Ich, das alle verscheuchen wollte: D ie Tote sollte vor allen Berührungen bewahrt werden, damit möglicherweise vorhandene Spuren nicht vernichtet würden. Und ich wollte mir selbst ein Bild machen, von dem, was Natalie zugestoßen war. Am liebsten hätte ich alle Anwesenden weggeschickt, alles abgeriegelt und sofort mit den Ermittlungen angefangen. Doch die Realität holte mich schnell wieder ein. Ich war schon lange keine Polizistin mehr. Wie hätte das ausgesehen, wenn die Hochzeitsplanerin die Eltern, den Bräutigam und alle anderen hinaus komplimentiert hätte, um anschließend die Tote näher zu untersuchen? Und außerdem, wer sagte überhaupt, dass dies ein Mord war? So wie die Sache aussah, war es mit Sicherheit ein Herzinfarkt gewesen. Nicht nur ältere Leute erleiden Herzattacken, auch junge Menschen werden öfter als man denkt von solch einem Ereignis heimgesucht. Solch ein Vorfall nimmt auch keine Rücksicht auf Hochzeiten.
N icht einmal wenn es die eigene ist.
Ich konnte für Natalie nichts mehr tun, daher konzentrierte ich mich auf die Lebenden. Es galt etwas Ordnung und Ruhe in die Versammlung zu bringen. Mit dem Mikro in der Hand redete ich mit mitfühlender Stimme auf die Gäste ein: »Meine Damen und Herren, wie wir tragischerweise alle gerade mitbekommen haben, ist soeben ein Unglücksfall eingetreten. Der Rettungswagen ist schon unterwegs, daher würde ich Sie bitten, alle wieder im Festsaal Platz zu nehmen. Ich werde Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Vielen Dank für Ihr Verständnis.«
Es verging eine Weile bis sich die Mehrheit der Gäste anschickte, die Orangerie zu verlassen. Die Aufregung und Neugier behielten die Oberhand, noch bis zum Moment, in dem ich die Hoteldirektion über den Todesfall informiert hatte, dann aber, als ich wieder in Richtung Saal marschierte, kamen mir schon die meisten Gäste entgegen. Kurz darauf erschienen die Rettungsdienstler, zusammen mit dem Notarzt.
Die d rei Kellner an der Bar standen immer noch hinter dem Tresen und wussten nicht so genau, ob sie bleiben oder gehen sollten. Ich schickte zwei von ihnen in den Festsaal, damit sie sich um die Wünsche der niedergeschlagenen Gäste kümmerten, und einen behielt ich hier, falls jemand ein Glas Wasser oder etwas Härteres brauchte.
Seit ich Hochzeiten organisiere, ist mir so lch ein gravierender Fall noch nie passiert, daher war ich nicht
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