BLUFF!
Argumenten, dieses psychologisch so notwendige Bild kaputt zu machen droht.
Es gibt noch einen zweiten sozialpsychologischen Grund, der das starre Negativklischee der katholischen Kirche erforderlich macht. Nach Freud ist ja der Vater auch Repräsentant der Geschichte einer Gesellschaft. Und da haben die Deutschen bekanntlich ein Problem. Teile dieser Geschichte waren ein einziger Horror. Doch stillschweigend haben sie eine brillante Lösung gefunden, und die geht so: Das Gute in der deutschen Geschichte, das waren Deutsche: Schiller, Goethe, Meister Eckhart – alles Deutsche! Das Böse dagegen, das waren wir gar nicht: Das war die katholische Kirche!
Der deutsche katholische Dominikaner Meister Eckhart, großer Mystiker und Schriftsteller, war natürlich hauptamtlich Deutscher und nur nebenamtlich katholisch, der deutsche katholische Dominikaner Institoris dagegen war selbstverständlich hauptamtlich katholisch und nur nebenamtlich deutsch – denn er hat den »Hexenhammer« verfasst.
Die Kreuzzüge, um auch dieses Thema noch kurz zu streifen, waren ein höchst problematisches Projekt unter der Leitung von deutschen Kaisern und europäischen Königen. Deutsche haben dabei schreckliche Greueltaten verübt. Doch kein deutscher Bundespräsident stellt sich diesem Thema, denn es gilt das Motto: Kein einziger Deutscher hat sich an den Kreuzzügen beteiligt, es waren alles Katholiken!
Es käme auch kein Präsident des Bundesverfassungsgerichts auf die Idee, die Hexenverfolgungen als einen furchtbaren Irrweg weltlicher deutscher Gerichtsbarkeit zu beklagen, und der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg hat sich noch nie für die 939 brutalen Hinrichtungen entschuldigt, die in der Freien Reichsstadt in den 240 Jahren zwischen 1503 bis 1743 stattfanden. Darauf angesprochen, würden sie alle Zeitbedingtheit in Anschlag bringen und zur Tagesordnung übergehen. Für die Kirche aber gibt es da keine Tagesordnung.
Als Papst Johannes Paul II . im Jahre 2000 in Yad Vashem war, an der Holocaust-Gedenkstätte in Israel, fand der alte kranke Mann Worte, die in aller Welt zu Herzen gingen. Nur in Deutschland warfen ihm einige vor, er hätte sich klarer und deutlicher für den Holocaust entschuldigen müssen. Man stelle sich vor: Der polnische Papst, selbst Opfer deutscher Okkupation, wird von Deutschen aufgefordert, sich für deutsche Schuld eindeutiger zu entschuldigen! Doch sozialpsychologisch ist das ohne weiteres verständlich.
Eines Tages nahmen wir einen Patienten auf, der vor Jahren seine Frau umgebracht hatte. Das Ganze war eindeutig bewiesen. Es hatte eine Gerichtsverhandlung und ein Urteil gegeben. Doch der Patient, der eine künstliche höfliche Fassade an den Tag legte, bestand so heftig darauf, dass das nicht stimmte, dass wir eigens selbst noch mal die Akte einsahen. Gut-Böse-Spaltung nennt die Psychoanalyse ein solches krankhaftes Phänomen, bei dem der Patient die unangenehmen Teile seiner Lebensgeschichte von sich abspaltet, als gehörten sie nicht zu ihm. Doch dieses Verdrängte rumort in ihm, es lässt ihn aggressiv reagieren, wenn jemand daran rührt, und so nimmt es ihm die Freiheit, unbefangen er selbst zu sein.
Die Gut-Böse-Spaltung ist auch für eine Gesellschaft in Wirklichkeit keine gute Idee. Sie produziert eine zerbrechliche künstliche Identität, die einen bösen Feind nötig hat, um sie selbst zu sein. Ihr Preis aber ist das gewaltsame Festhalten an einer gefälschten Geschichte.
Die Fälschung der Geschichte des Christentums aus sozialpsychologischen Gründen, die ritualisiert immer wieder dieselben wenigen Themen betrifft, geschieht nicht mit böser Absicht, aber sie macht den Zugang zu den spirituellen Quellen Europas unmöglich. Die herrschende Karikatur des Christentums und dabei vor allem der katholischen Kirche schließt eine ernsthafte Befassung damit für den aufgeklärten Zeitgenossen aus.
Geschichtsfälschungen haben nicht immer diesen verkrampften Charakter. Es gibt sie auch ganz locker und strahlend, zumal wenn sie von den Siegern geschrieben werden. Der bis heute hochgelobte Kaiser Augustus hat keine Gelegenheit versäumt, seine Taten preisen zu lassen. In Wirklichkeit hat er nicht ohne Grausamkeit seine Macht befestigt, und niemand kann wissen, ob nicht vielleicht doch eine weiterbestehende Römische Republik der Weltgeschichte weniger dumme caesarische Autokraten und mehr geistreichen Frieden beschert hätte. Der grausame Kaiser Caracalla, der heute noch für
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