BLUFF!
was dunkle Seiten betrifft, völlig geschichtslos. Sie wird für überhaupt nichts verantwortlich gemacht. Man weiß zwar, dass Hitler sich intensiv mit Esoterik befasst hat. Seine Privatbibliothek, die in Washington aufbewahrt wird, ist reich an esoterischer Literatur, und es wird angenommen, dass solche Ideen ihn natürlich bei seinen Verbrechen mehr beeinflusst haben als sein bekannter Vegetarismus. Doch all das wird nicht der Esoterik angelastet, und auch durch Esoterik verpfuschte Lebensgeschichten fallen merkwürdigerweise nicht auf sie zurück. So konnte die Esoterik in die Marktlücke vorstoßen, die die christlichen Kirchen hinterlassen hatten. Esoterik wird öffentlich mehr oder weniger unangefochten als irgendwie interessante Auffassung dargeboten, der in der Talkshow natürlich niemand offen widerspricht, denn: Man wird doch wohl tolerant sein! Obwohl die Zahl wirklich überzeugter Esoterikanhänger sicher nicht überwältigend groß ist, erreicht die Esoterik dennoch auf diese Weise mangels öffentlichkeitswirksamer Konkurrenz geradezu einen Monopolanspruch auf Weltdeutung.
Gegenüber traditionellen Religionen gibt es gesellschaftlich mit der Esoterik noch ein besonderes Problem. Die Esoterik ist völlig egoistisch, sie kennt keine sozialen Rücksichten. Den Esoteriker interessiert nur sein persönliches Horoskop, seine persönliche Zukunft, sein eigener Vorteil.
Die Esoterik fälscht die Welt. Sie bietet sinnsuchenden Menschen selbstgebastelte Antworten, die den Horizont so komplett verstellen können wie die gigantischen Kulissen in der Welt des Truman Burbank. Doch in einer existenziellen Lebenskrise erweisen sich diese Plastikantworten als nicht wirklich tragfähig. Die Wände der esoterischen Welt sind aus Pappe und die phantasievoll bemalten bunten esoterischen Papierflugzeuge können keine Lasten tragen. Bei wirklichem Leid stürzen sie ins Bodenlose ab, ja sie sind sogar von unbändiger Freude völlig überfordert. Die Esoterik kennt keinen Trost, sie kennt kein Mitleid, sie kennt nur Fatalismus. Der Esoteriker lebt am Ende einsam in einem nach vergleichsweise schlichten Gesetzen pulsierenden kalten Weltall, das ihn emotionslos anblickt wie ein Glasauge, hinter dem es keine Person gibt.
Und als kleiner Winzling, der ja nicht die allmächtigen Sterne aus ihrer ewigen Bahn werfen kann, bemüht er sich wenigstens mit kleinen Tricks aus dem esoterischen Zauberkasten, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Doch das ist eine Illusion. Schon in Goethes »Faust« ätzt Mephistopheles:
»Wie sich Verdienst und Glück verketten, das fällt den Toren niemals ein.
Wenn sie den Stein der Weisen hätten, der Weise mangelte dem Stein.«
Der Preis, den der Esoteriker zahlt, ist ein verengter Blick auf die Welt. Ihm entgeht, wenn er ganz in seinen Systemen gefangen ist, dass hinter all den uns beeinflussenden Welten nicht, wie er wähnt, etwas heimlich Durchschaubares liegt, sondern etwas undefinierbar Ergreifendes. Eingefleischte Esoteriker haben durch all das angebliche Wissen das Staunen verlernt. Auf diese Weise laufen sie Gefahr, durch die Befassung mit ihren verquasten Lehren das eigentliche Leben zu verpassen. Denn wer seine Partnerin nach solchen Kriterien aussucht, wird kaum erfahren, was Liebe wirklich ist. Wem der Sinn des Lebens bloß eine mystische Gleichung ist und für wen das Schicksal so übermächtig ist, dass dagegen weder Gut noch Böse eine Chance haben, dem entgeht das Entscheidende seines einmaligen existenziellen Lebens, er wird blind für die Realität.
Im Jahre 1635 reiste ein Inquisitor der Römischen Inquisition als Begleiter eines Kardinals nach Deutschland. Je länger die Reise dauerte, desto mehr wuchs das Entsetzen der beiden. Denn was sie da sahen und hörten, das war der reine Aberglaube. Eine dumpfe Volkswut hatte sich auf gewisse Frauen gestürzt, die man als Hexen bezeichnete und die dann in tumultuarischen Verfahren auf den Scheiterhaufen gebracht wurden. Dieser germanische Furor widersprach nach Auffassung der beiden feinsinnigen und gebildeten italienischen Theologen allen christlichen Prinzipien. Hexenglaube war germanischer Aberglaube, die Spanische Inquisition hatte mit Strenge jede Hexenverfolgung unterbunden. Doch in Deutschland gab es niemanden, der dem barbarischen Hexenwahn Einhalt gebot. Erschüttert kehrten die beiden nach Rom zurück.
Das Christentum hatte damals nicht zum ersten Mal Probleme mit Aberglauben und esoterischen Lehren.
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