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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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seine gigantische Thermenanlage in Rom bewundert wird, hat die alte römische Fälschungstradition der Damnatio Memoriae, der Vernichtung der Erinnerung, wiederaufleben lassen, indem er den Namen seines Mitkaisers und Bruders Geta kurzerhand aus allen Inschriften wegmeißeln ließ. Er hatte Gründe. Denn er hatte diesen Bruder unappetitlicherweise in den Armen der gemeinsamen Mutter persönlich erdrosselt.
    Christentum und Kirche waren freilich nicht bloß Objekte der Fälschung. Sie haben bei Gelegenheit auch eifrig mitgefälscht. Die Konstantinische Schenkung behauptete, dass der Kaiser Konstantin auf dem Sterbebett das ganze Römische Reich freundlicherweise dem Papst geschenkt habe. Diese Fälschung kam wohl erstmals im achten Jahrhundert auf, als der Frankenkönig Pippin dem Papst tatsächlich den Kirchenstaat schenkte. Die Fälschung bot den offensichtlichen Vorteil, dass der Papst für die Pippinsche Schenkung gar nicht mehr richtig danke sagen musste, denn das gehörte ihm offenbar von Rechts wegen ja ohnehin schon alles, dass außerdem später selbstverständlich nur ihm die Verleihung der Kaiserkrone zustand und er sich überhaupt für alle Zeiten ein Vorrecht vor dem Kaiser zusprechen konnte.
    Unter Werbegesichtspunkten ist die antispanische »Legenda nera« wahrscheinlich die erfolgreichste Geschichtsfälschung aller Zeiten. Wenn man über die schrecklichen Untaten der Europäer an den Indianern hört, sind das Thema immer die Spanier, die tatsächlich höchst grausam gegen die Indios vorgingen. Niemand spricht über die Engländer und die Holländer. Im Gegensatz zu den Spaniern, die nach päpstlichem Entscheid die Indianer als gleichberechtigte Menschen zu respektieren hatten, sich mit ihnen durch Heiraten vermischten und bei denen es durch Las Casas und andere ausführliche Debatten zugunsten der Menschenrechte der Indianer gab, lehnten die Engländer und Holländer jegliche Vermischung mit den »Wilden« ab, vernichteten die in ihren Territorien befindlichen Einheimischen fast vollständig, bis dann der Rest in Reservate gesperrt wurde. Das wäscht natürlich die Spanier nicht rein, die noch im achtzehnten Jahrhundert geldgierig den blühenden Indianerstaat der Jesuiten in Paraguay plattmachten. Bei Arnold Angenendt, der in seinem brillanten Werk »Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert« historisch seriös und wo nötig auch kirchenkritisch all die das Christentum betreffenden Fälschungen aufdeckt, kann man dazu Genaueres nachlesen.
     
    Dann ist da der hochgelobte Friedrich der Große, der – bei allen Verdiensten – für seinen brutalen Einmarsch ins friedliche Schlesien keine besseren Gründe hatte als Saddam Hussein für seinen Überfall auf Kuweit. Da ist die Französische Revolution, die – bei all ihren Verdiensten – in wenigen Jahren etwa gleich viel unschuldige Menschen gemordet hat wie die über 450 Jahre in Europa wütenden grausamen Hexenverfolgungen zusammen. Da ist Napoleon, der – bei all seinen Verdiensten – durch den völlig unsinnigen Marsch auf Moskau mit seiner Grande Armee rücksichtslos eine ganze Generation junger Europäer in den Tod trieb. Da ist Otto von Bismarck, der – bei all seinen Verdiensten – als zynischer Machtpolitiker über Leichen gehen konnte. Da ist der amerikanische Präsident Harry Truman, der – bei all seinen Verdiensten – auf den maßlosen japanischen Angriff auf die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbour mit dem maßlosen Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki reagierte, was mehr als 200 000 Tote kostete.
    Die weitgehend schattenlose Wahrnehmung dieser Personen und Ereignisse gehört sozialpsychologisch zur Identität ihrer Nationen, auch wenn aus diesen Nationen selbst die besten wissenschaftlichen Beiträge zur Relativierung solcher Helden kommen. Und auch die Zeitgeschichte steuert spektakuläre Fälschungen bei: Die »Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins« waren freie Erfindungen, die aber im Ergebnis Tausende Kriegstote kosteten. Da gibt es dann aber auch die merkwürdige Ud SSR - und DDR -Nostalgie, die die Geschichte dieser beiden Terrorregime in falschem rosigem Licht zeichnet. Auch da sind es psychologische Gründe, die zu den Fälschungen führen. Es ist für manche Menschen einfach unerträglich, sich einzugestehen, dass man nicht bloß für eine gewisse Zeit, sondern fast sein ganzes Leben lang in einer falschen Welt gelebt hat. Da fälscht man sich lieber die

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