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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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verkaufen, und einen guten Job machen. Wirkliche Medienprofis machen sich keine Illusionen über die Illusionen, die sie erzeugen. Sie wissen, dass ein inszeniertes Leben nicht das Leben selbst ist, aber andererseits auch, dass sich über Facebook mitunter echter Trost und echte existenzielle Zuwendung ereignen kann und nicht jeder, der mal eine Castingshow anschaut, gleich der Verblödung anheimfallen muss. Seriöse Bankberater sind sich bewusst, dass viele gute Tipps vieler guter Bankberater im Ergebnis ein schlechter Tipp sind, denn wenn an der Börse alle das Gleiche tun, ist das bekanntlich für alle schlecht. Und kluge Ärzte wissen, dass es nicht das ewige Leben auf Krankenschein gibt und dass jede Gesundung immer nur vorübergehend ist.
     
    Ein vierundzwanzigjähriger dicker Student saß im Zug. Zu Hause war er eingestiegen, wie immer. Er wollte in die Universitätsstadt fahren, wie schon so oft. Die Leute im Abteil waren mehr oder weniger merkwürdig, wie immer. Die Gespräche der Menschen drehten sich um Nichtigkeiten, und auch das war wie immer. Durchs Fenster sah man die Berglandschaft vorbeiziehen, doch der Vierundzwanzigjährige interessierte sich nicht besonders dafür, denn er kannte die Strecke schon seit langem. Eben fuhr der Zug wieder in einen Tunnel ein. Die Gespräche plätscherten weiter vor sich hin. Die Fahrt durch den Tunnel schien diesmal besonders lang zu dauern, aber das bildete er sich sicher bloß ein. Immer noch war es dunkel draußen. Was war denn bloß los? Der Tunnel schien endlos zu sein. Inzwischen wurden auch die Mitreisenden unruhig. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Zug fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit. Man fragte den Schaffner, doch auch dem war das Ganze ein Rätsel. Nun war der junge Student beunruhigt. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er suchte den Zugführer. Während er durch die Waggons ging, hatte er das Gefühl, dass der Zug immer schneller fuhr. Und als er den Zugführer schließlich fand, machten sie sich gemeinsam auf zum Anfang des Zugs. Schließlich arbeiteten sie sich bis zum Führerhaus vor, und was er da erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern erstarren: Das Führerhaus war leer, und er konnte sehen, wie der Zug, immer schneller werdend, immer tiefer bergab ins unendliche Dunkel der Erde hineinstürzte.
     
    Die Erzählung »Der Tunnel« von Friedrich Dürrenmatt wirkt surreal, doch in Wirklichkeit ist sie real. Die Leute im Abteil reden im Grunde über das, worüber Sie vielleicht gerade auch geredet haben, liebe Leserinnen und Leser. Es sind Gespräche, wie sie auch Truman Burbank führt in seiner künstlichen Welt, in der, ohne dass er es weiß, nichts wirklich Echtes passiert. Und plötzlich platzt die Kulisse. Der Tod bricht ein. Und der Tod ist real. Jeder von uns stirbt. Jeder von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, kann schon morgen im Lokführerstand landen und ins katastrophale Dunkel blicken: Es kann der Geisterfahrer auf der Autobahn sein, die Ansage im Flugzeug vor dem Absturz, der plötzliche Schmerz in der Herzgegend, irgend so etwas wird es irgendwann ganz sicher sein.
    Wirklich.
    Durch den sicheren Tod aber, der uns allen unentrinnbar bevorsteht, erscheinen das Leben und die Welt in einem ganz anderen, in einem merkwürdig plastischen, realen Licht. Im Gegensatz zu den Tieren wissen wir Menschen, dass wir sterben und dass daher jeder Moment unwiederholbar ist. Und wenn auch manche Menschen so leben, als hätten sie noch ein zweites Leben im Kofferraum, Momente, in denen plötzlich klar wird, dass in Wirklichkeit niemand eine zweite Chance bekommt, lassen die Menschen frösteln, wie die Lektüre von Dürrenmatts »Tunnel«.
     
    Der Tod ist das große Rätsel der Menschheit. Man hat ihn immer bestritten. Seit frühesten Zeiten haben die Menschen geglaubt, dass mit dem Tod nicht alles aus sei. Deswegen haben sie beerdigt und nicht bloß verscharrt. Seit unvordenklichen Zeiten erzählen die Religionen Geschichten vom Leben nach dem Tod. Doch erstmals in der Geschichte der Menschheit drohen in Mitteleuropa und anderswo die alten Erzählungen zu verstummen.
    Der Tod ist ausgebrochen im Wartesaal des Lebens, der endgültige Tod. Im Zentrum Europas findet seit noch gar nicht so langer Zeit ein großes Live-Experiment statt. Kann der Mensch mit dem Gedanken wirklich leben, dass mit dem Tod alles aus ist? Alles spricht dafür, dass dieses Experiment grandios gescheitert ist. Wohin auch immer man schaut: Eine ganze Gesellschaft ist in

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