BLUFF!
treibt uns Psychiater im Dienst unserer Patienten Tag und Nacht an. Doch das ist letztlich auch die entscheidende Frage an uns alle: Wie können wir diesen ganzen Bluff, wie können wir die Fälschung der Welt entlarven, wie können wir den künstlichen Welten entkommen, um zur eigentlichen Welt vorzudringen, zur wahren Welt, zu der uns die Türen offenstehen. Man mache sich nichts vor. Es ist nicht leicht, durch die Tür zu gehen. »Truman zieht im Grunde seine Zelle vor«, behauptet der selbstgewisse Regisseur. Aus Gewohnheiten auszusteigen ist immer beunruhigend. Doch ein beherzter Ausstieg ist immer noch besser, als irgendwann, gefangen in den Üblichkeiten eines letztlich von anderen inszenierten Lebens, prachtvoll oder elend zu verenden, so dass am Ende auf dem Grabstein steht: Er lebte still und unscheinbar, er starb, weil es so üblich war.
Um auszusteigen, muss man aber erst erkennen, dass die Welt gefälscht ist, in der man so lebt, dass sie aus Pappmaschee und Plastik besteht und hohl klingt, wenn man sie nach echter Substanz abklopft. Gewiss, die Fälschung der Welt ist ein gutes Geschäft für die vielen Regisseure des falschen Films, in dem wir leben. Doch es gibt auch Kulissen, die wir uns selber bauen, und hinter denen mit der Zeit die vielgestaltige bunte wahre Welt immer weiter entschwindet. Ob die Welt also absichtlich gefälscht wird oder ob es sich einfach ergibt, dass wir ganz freiwillig im falschen Film landen, ist im Ergebnis egal. Am Ende jedenfalls wissen wir nicht mehr, worum es im Leben eigentlich geht.
3. Kulissen –
Über röhrende Hirsche und erotische Missverständnisse
N iemand ist ein unbeschriebenes Blatt. Jeder von uns lebt in seiner eigenen kleinen Welt aus Lieblingsfarben, Lieblingsmöbeln, Lieblingsmusik, aber auch aus Lieblingsmeinungen und Leuten, die diese Meinungen teilen. Und so haben die Soziologen festgestellt, dass wir im Grunde alle in so einer Zelle leben, aus der wir wie Truman nicht herauswollen oder -können. »Sinusmilieus« nennen sie diese Zellen mit einem respektgebietenden Fremdwort. Und doch heißt das bloß, dass jeder in unseren Breiten sich in einer bestimmten Umgebung wohl fühlt und in einer anderen Umgebung eben partout nicht.
Das klingt noch ganz harmlos. Die Geschmäcker sind halt verschieden. Der eine mag einen rustikalen Lebensstil, er liebt Bauernmöbel, den röhrenden Hirsch überm Sofa, er sieht im Fernsehen den Musikantenstadl und hat Freunde, die das auch mögen. Andere Leute findet er merkwürdig, zum Beispiel Menschen, die moderne Kunst im Wohnzimmer ausstellen, auf deren Möbel er sich nur zögernd setzt, weil sie hypermodern designt, das heißt ganz unpraktisch geformt sind, und die überhaupt Gesprächsthemen draufhaben, die völlig uninteressant sind. Meint er. Meinen die aber gerade nicht. Sondern ganz im Gegenteil. Die halten unseren rustikalen Zeitgenossen für eine ziemliche Zumutung und kämen nie auf die Idee, sich mit dem auf nähere Kontakte einzulassen. Da gibt es dann aber auch ein alternatives ökologisches Milieu mit komplett kompostierbarer Wohnungseinrichtung, selbstgestrickten Klamotten, useligen Frisuren und körnerreicher Rohkost. Die finden natürlich alle anderen Milieus geradezu unverantwortlich.
Jedes Milieu hat seine bevorzugten Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen oder Blogs, die dazu beitragen, die eigene Meinung, je länger, je mehr, als die einzig wahre zu empfinden. Die Soziologen haben etwa zehn solche unterschiedlichen Milieus ausgemacht, und man merkt am besten, dass man zu einem bestimmten Milieu gehört, wenn man sich in allen anderen Milieus total unwohl fühlt.
Das Problem ist nun, dass uns mit der Zeit die Üblichkeiten unseres Milieus wie die eigentliche Welt vorkommen, dass sie uns also mehr und mehr gefangen nehmen. Wir werden berechenbar. Raffinierte Internetplattformen begreifen sehr schnell, was sie an uns haben. Sie bieten uns die Musik zum röhrenden Hirsch, die Kleidung zu den Bauernmöbeln und die Lektüre zu den Meinungen, die sie bei uns vermuten. Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden wir auf diese Weise immer mehr zu dem, der wir anfangs vielleicht nur ein wenig waren und der wir am Ende mit Haut und Haaren sind: Wir werden zum Produkt unseres Milieus. Und was wahr und falsch ist, was gut und böse, vor allem was schön und hässlich, das bestimmt die Ästhetik unseres Milieus. Alles, aber wirklich alles, wird zur Geschmackssache.
Der Gründer der
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