Blumen für den Führer
Vor allem dient es einem Zweck: Wir bauen das Reich auf und zeigen der Welt, wer wir sind. Es versteht sich von selbst, dass die Pilotenausbildung heute und in Zukunft bei uns beginnt, im Segelflug. Deutschland ist im Begriff, wieder eine Luftwaffe aufzubauen, und ich darf mit allem Stolz sagen,
dass wir ein wichtiger Fundamentstein für dieses großartige Bauwerk sind.«
Jockels Unglück wurde immer größer. Wenn er jetzt einfach zur Tür hinauslief, würde der Professor ihn natürlich aufhalten und fragen, warum. Beichten wollte er ihm nicht. Niemandem. Er merkte, wie sich seine Brust zuzog, das Herz tat weh, und er war nah daran, zu weinen. Aber hier auf keinen Fall! Er sammelte die letzte Kraft.
Der Professor sah ihn an. »Wenn wir das Glück haben, einen neuen Kameraden bei uns begrüßen zu können, dann hoffe ich doch sehr, dass unsere Gemeinschaft die Größe hat, ihn auch kameradschaftlich aufzunehmen und anzuerkennen, wenn er aktiv teilnimmt.« Sein Blick hielt Jockel wie mit Fäusten fest. »Würdest du einmal hier nach vorne kommen? Alle wollen dich sehen.«
Jockel stemmte sich hoch. Langsam ging er an den Fenstern vorbei, blieb aber frühzeitig stehen.
»Na, trau dich mal her«, sagte der Professor. Dann stellte er ihm eine Reihe Fragen und war erstaunt, als Jockel erzählte, dass er der Sohn eines Landarbeiters war.
»Aber du hast Bücher gelesen.«
Jockel erwähnte einen Schulfreund, der ihm aus Gersfeld allerhand geliehene Bücher mitgebracht hatte. Am meisten hätte ihm ein Artikel von Professor Georgii gefallen. Für einen Moment wurde es merkwürdig still in dem Raum. Dann fingen hinten ein paar Jungen an zu kichern und plötzlich lachten alle los.
Der Professor forderte Ruhe ein. Dann streckte er Jockel die Hand entgegen. »Darf ich mich vorstellen: Professor Walter Georgii, Leiter des Deutschen Forschungsinstituts für Segelflug. Und nun fall uns hier bitte nicht vor lauter Aufregung
in Ohnmacht, bloß weil man in diesen Büchern nicht immer eine Porträtfotografie vom Autor findet. Du hast es ja nicht ahnen können.« Er schüttelte kräftig Jockels Hand und lachte herzlich. »Wir machen eine kurze Pause, weil ich sehe, dass Josef sein Wasser nicht mehr halten kann. Er zappelt wieder hin und her. Bevor er sich also in eine Kumuluswolke oder schlimmer: in einen Blumenkohl verwandelt … fünf Minuten, Herrschaften!«
Alle standen auf, es wurde laut und unruhig.
Jockel bedankte sich. Er war verlegen, traurig, ging schnell nach hinten und wartete, bis Professor Georgii abgelenkt war, dann schlich er sich ins Nebenzimmer und verschloss die Tür. Er nahm seine nassen Sachen und öffnete ein Fenster, kletterte hinaus und rannte dicht an der Barackenwand entlang, damit ihn niemand sah. Der Hang lag vor ihm, die Segelwiese, deren Sohle im Dunst kaum zu erkennen war.
Er wetzte ängstlich los. Er blickte nicht zurück. Im Rennen flennte er vor Wut darüber, dass er nie ein Segelflieger werden konnte.
Das Liebesfieber
F riedel lachte matt, als Reni in den Schlafsaal kam. »Es ist kein Liebesfieber , was ich habe.«
Reni war bemüht, ihre Verwirrung nicht zu zeigen.
Die Begegnung mit Jockel bedrückte sie, weil er so seltsam schroff zu ihr gewesen war. Zugleich war ihr Herz übervoll von der Unterhaltung mit dem Grafen. Als sie soeben aus
dem Wagen gestiegen und ins Haus gegangen war, hatte sie eine Stimmung wahrgenommen, die ihr ein bisschen rätselhaft vorkam. Frau Misera hatte sie mit zu hoher, zu weinerlicher Stimme gleichsam offiziell begrüßt: Selbstverständlich dürfe Reni übermorgen, also am Sonnabend, wieder zu ihrem Vater fahren – was für eine Frage. Überhaupt würden sich alle daran gewöhnen müssen, in Zukunft mit Reni »respektvoller« umzugehen. Die meisten Mädel hätten ja überhaupt noch nicht begriffen, was eigentlich passierte, vor allem aber: was noch geschehen würde.
»Hat der Herr Graf dich freundlich aufgenommen?«, fragte Friederike.
»Er ist ganz wunderbar«, antwortete Reni. »Stell dir vor, ich durfte ihm von Doktor Schweitzer erzählen und dass man in Lambarene dringend Wellblech benötigt. Der Herr Graf, mein Vater, kennt sehr wichtige Leute in Berlin, die helfen werden. Wenn ich nur daran denke, werde ich aufgeregter als beim Gedanken an die Begegnung mit dem Führer. Es wird ein so neues Leben für mich, Friedel, aber ihr müsst alle etwas davon haben. Wahrscheinlich werde ich nicht mehr lange hierbleiben. Aber ich will euch jede Woche besuchen.« Sie
Weitere Kostenlose Bücher