Blumen fuer die Toten - Ein Fall fuer Commissario Mariani
auszuschalten. Es ist aber nicht der Wecker, der klingelt, sondern das Telefon; den Wecker habe ich ja schon vorhin zum Schweigen gebracht.
Ich nehme ab: » Pronto .«
»Nino, bist du das? Habe ich dich etwa geweckt? Es ist neun Uhr …« Nur meine Mutter nennt mich Nino.
»Nein, Ma. Ist etwas passiert?«
»Keine Sorge, alles in Ordnung. Nur, dass hier ein Päckchen für dich liegt.«
Ein Päckchen für mich. Jetzt bin ich hellwach.
»Fass es nicht an, Ma. Ich komme sofort.«
»Wenn du willst, mache ich es auf und sage dir, was drin ist.«
»Nicht öffnen, bitte, nicht öffnen.«
Während ich in die Kleider schlüpfe, rufe ich in der Questura an und sage, dass sich das Labor für eine dringende Spurensicherung bereithalten soll.
Meine Mutter wohnt im Corso Magenta. Um schneller dort zu sein, schalte ich die Sirene ein - was ich eigentlich höchst ungern tue. Erst in der letzten Kurve vor ihrer Wohnung schalte ich sie aus.
Kaum stehe ich vor der Haustür, summt schon der Türöffner; meine Mutter muss auf der Lauer gelegen haben. Auch an der Wohnungstür muss ich nicht läuten.
Jeans, blauer Pullover, Turnschuhe, kurz geschnittenes, fast weißes Haar, ihr übliches Outfit, seit sie in Pension ist. »Wie geht es Francesca und Manuela?«, fragt sie. Sie hat schon vor langer Zeit beschlossen, das Scheitern meiner Ehe einfach zu übergehen.
»Gut, Ma, allen beiden«, ich trete ein, »wo ist das Päckchen?«
»Auf dem Schreibtisch in Papas Arbeitszimmer.« Papa, wie sie meinen Vater nennt, ist vor über zehn Jahren gestorben, und auch davor hat eher sie das Zimmer genutzt, um die Klassenarbeiten ihrer Schüler zu korrigieren, wohingegen er nur selten Arbeit mit nach Hause brachte.
Ich gehe voran. Das Päckchen liegt auf der mit waldgrünem Saffianleder bezogenen Schreibtischplatte. Blaues Papier, weißer Bindfaden - auch ohne den Aufkleber hätte ich gewusst, dass dies die klassische Verpackung der Süßwaren von Romanengo ist. Neben dem Etikett der nobelsten Konfiserie Genuas klebt in einer Ecke ganz diskret ein Namensschild, wie man es von alten Schulheften kennt.
Dott. Antonio Mariani
Mit Schreibmaschine geschrieben.
»Wer hat es vorbeigebracht?«
»Weiß ich nicht. Ich habe die Tür aufgemacht, um im Flur ein bisschen zu lüften, während ich Staub wischte, und da habe ich es gefunden, es lag auf der Fußmatte. Keine Ahnung, wie lange schon!« Sie hält inne, fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Ist das wichtig?« Ich weiß, dass sie eigentlich fragen wollte, ob es sich um etwas Schlimmes handelt, ob sie sich Sorgen machen muss. Doch sie fasst ihre Ängste lieber nicht in Worte.
»Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Es hat einen Mord gegeben, ich bin mit dem Fall betraut …«
»Der im Corso Torino? Die Prostituierte mit der Perücke? Stimmt, ich habe deinen Namen in der Zeitung gelesen.« Sie sieht mich an und fragt nicht weiter, doch eigentlich will sie alles wissen. Es gibt nur neugierige Frauen in meinem Leben.
»Ich habe noch andere Päckchen erhalten, die mit dem Mord in Beziehung stehen könnten. Auch die haben mich auf eigenartige Weise erreicht, sie wurden bei den Nachbarn abgegeben. Vor der Presse konnten wir das bisher geheim halten, aber ich weiß nicht, wie lange noch.« Ich nehme das Päckchen an mich. »Ich bringe es jetzt zur Analyse.«
Sie nickt und fragt mich, ob ich etwas trinken möchte.
»Nein, Ma, ich muss jetzt los.« Schon fast an der Tür, drehe ich mich noch einmal um, lege ihr die Hand auf die Schulter. »Bitte, Ma, wenn es klingelt, sei vorsichtig: Spion, Kette, Riegel. Und geh nicht nach draußen, wenn es dunkel ist.«
»Ich bin nicht mehr sechzehn Jahre alt, dass man mir vorschreiben kann, was ich tun oder lassen soll. Ich lebe mein Leben und beabsichtige nicht, es zu ändern.« Die Frauen meines Lebens haben in etwa den fügsamen Charakter von Lämmern. Meine lieben Schäfchen!
»Wie auch immer, Ma, sei vorsichtig.«
»Mein ganzes Leben bin ich nicht vorsichtig gewesen, und mir ist nie etwas passiert.«
Und jetzt verfolgt mich auf der ganzen Strecke zur Questura, Via Assarotti und so weiter, der Gedanke, dass der Mörder weiß, wer meine Mutter ist. Er kann ihr jeden Augenblick etwas antun.
Doch wenn er es nur auf Prostituierte abgesehen hat, dann ist meine Mutter aus dem Schneider.
Das Päckchen wird fotografiert, von allen Seiten untersucht und vorsichtig geöffnet. Blaues Einwickelpapier, weißes Seidenpapier, etwas Rundes, Zellophanverpacktes. Die
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