Blumenfresser

nicht nur bemuttern wollte und nicht nur Hilfe bei der Betreuung des kleinen Kindes brauchte, das schon lief und allmählich zu sprechen begann, das Mädchen war ihr auch aus einem anderen Grund wichtig. Somnakaj war schön, instinktiv klug und anpassungsfähig. Ihr Vater kam oft ins Haus, dann packte ihm Klara Backwerk und Fleisch ein. Flüsternd fragte der Woiwode seine Tochter aus, ob sie sich wohlfühle, wie es um sie bestellt sei, dann verschluckte ihn der Nebel so plötzlich, wie er gekommen war. Die Zigeuner bauten Häuser und Hütten, laut behördlicher Anordnung durften sie nicht länger in Zelten leben. Eines Morgens öffnete Somnakaj die Tür, als Imre sich gerade nackt über einem Bottich wusch, sie sah seinen Rücken und seinen dünnen Hintern, er wandte sich um, als er den kalten Luftzug spürte. Sie geriet nicht in Verlegenheit und schloss langsam die Tür.
    Nun war wirklich alles so kompliziert geworden. Auf seinem Schreibtisch häuften sich die Notizen, auf den Blättern harrten unvollständige Sätze, eilig hingekritzelte Worte. Er hatte mehrere Packungen Kerzen gekauft, um auch nachts arbeiten zu können, doch dann quälte er sich nur und starrte apathisch in die Dunkelheit. Wenn das Morgengrauen seine Stirn erhob, war der Talg zusammengefallen, und er sah, dass er nicht mehr als ein paar Zeilen zustande gebracht hatte. Neben ihm lebte Klara in stummer Agonie, manchmal neigte sie sich ihm zu, nein, sagte sie, nein. Sie wiederholte es oft, nein, nein, nein. Während des Frühstücks schwieg sie, ein Stück gelbe Butter hing an der Spitze des Messers, sie legte es nieder, stand langsam auf und kehrte nicht an den gedeckten Tisch zurück. Nein, sagte sie vor einer Apotheke, wo eine Creme gegen Haarausfall beworbenwurde, Imre betrachtete stirnrunzelnd das Plakat. Nein, sagte sie, während sie sich kämmte oder las, morgens, in der Müdigkeit des Nachmittags, in tiefer Nacht.
    Nur der Mond lebte, still rang die Stadt nach Luft, die Straßen lagen unter mächtigen Decken. Nein, sagte Klara, sie saß aufrecht im Bett, nein, nein. Und wenn Imre das Wort hörte, zuckte er zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten. Wenn er in den Nächten nach seiner Frau griff, stieß sie seine Hand nicht weg, doch er berührte einen kalten, leblosen Körper.
    Wenn er ganz einfach redete wie früher, so wie sie es gewohnt waren, brachen die Anklagen aus ihr hervor.
    Du hast ihn nicht beschützt?, Imre!, flüsterte sie.
    Wie hätte ich das können, sag!? Vor der letzten Schlacht ist er noch zu uns gekommen! Ich habe mit ihm gesprochen und versucht, ihn zurückzuhalten, doch er wollte nicht bleiben! Aber er hat doch auch versprochen zurückzukommen!
    Du hast ihn nicht beschützt, flüsterte Klara.
    Imre brauste auf, es kann nicht sein, dass Peter sein Mörder ist! Peter ist leidenschaftlich wie ein Wasserfall, doch ein Mörder ist er nicht! Ich kenne meinen Bruder, haspelte er, damit ihn Klara nicht unterbrechen konnte, als Junge hat er nicht einmal Fröschen etwas zuleide tun können, geschweige denn einen Menschen umbringen! Das sind Erfindungen, Somnakaj denkt sich alles Mögliche aus, damit sie bei dir bleiben kann!
    So gut wie sie hätte ich ihn gar nicht beschrieben können, sagte Klara leise. Adam ist im Zigeunerlager gewesen! Und dann hat ihn Somnakaj auch tot gesehen.
    Sie hat ihn genau so beschrieben, wie du es hören wolltest! Imre warf sich hin und her.
    Du meinst, er lebt?
    Das kann ich nicht wissen, Klara.
    Sag, dass er lebt! Es genügt, dass du sagst, er lebt!
    Klara, versteh doch, dass ich so etwas nicht behaupten kann, wenn man ihn nun mal unter den Toten gefunden hat!, flüsterte Imre und erschrak heftig, denn er hatte die Regel verletzt,die geradezu die Grundlage ihrer wundersamen Gewohnheit, sich einzuschließen, war, nämlich dass durch ihre Worte alles Wirklichkeit werden konnte. Sie konnten die Welt umändern und neu erzählen, wenn sie es so wollten, doch nun hatte er die beiderseits respektierte, unter allen Umständen auch vor ihnen selbst zu verteidigende Übereinkunft, dieses fundamentale Bündnis grob und unwiderruflich aufgekündigt, weil er darauf und nur darauf beharrte, was tatsächlich gewesen, was sich wirklich zugetragen haben mochte. Und das hätte er nicht tun dürfen! Auch im Halbdunkel war zu sehen, dass Klara sich ihm bestürzt zuwandte und dabei ihre Kissen knetete. Ihr Gesicht blieb im Dunkeln, die glitzernden Punkte waren vielleicht Tränen. Ich bin eine Bestie, eine Bestie!,