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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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besondere Komplikationen aus dem Leben der Familie, Antal Schön verlor seine Frau an einen Theaterdirektor, der sie mit süßen Worten nach Wien lockte. Nein, Anna war keineswegs davongelaufen. Die unstillbar lebenshungrige Großmutter des Jungen, deren Schönheit noch nach Jahren Gesprächsthema war, ging mit Wissen ihres Mannes fort, erhobenen Hauptes, sie verließ sie mit aufatmendem Kummer im Herzen, ein letztes Mal strich sie Imre über die Stirn und warf Peter einen Kuss zu. Sie nahm den Reisekoffer, ihr neuer Umhang wehte, wie eine Erscheinung verschwand sie im Inneren des Mietwagens. Imre zitterte vor Aufregung, Peter stand im Laubengang hinter ihm und sagte, als sich das Hoftor schloss, mit schon damals unwahrscheinlich tiefer Stimme: Mutter. Dann stieß er ein solches Gebrüll aus, dass die Tauben vom Dach des Nachbarhauses aufflogen.
    Mutter! Mutter!
    Antal Schön zog die beiden Kinder vor dem Schlafengehenan sich, ihr müsst wissen, dass eure Mutter fortgegangen ist, sagte er.
    Wann kommt sie zurück?, röchelte Peter.
    Niemals, sagte der Vater und trank aus einem kleinen Glas stechend riechendes Wasser.
    Sehen wir sie nie mehr wieder?, fragte Imre.
    Niemals mehr, antwortete der Vater, und Imre staunte, denn es waren die Toten, die man nie mehr sah, doch ihre Mutter lebte, und wenn sie lebte, konnte sie zurückkommen.
    Hat Mutter uns nicht liebgehabt?!
    Mich hat sie lieb, mich hat sie lieb, plärrte Peter.
    Antal Schöns Augen füllten sich mit Tränen, ich weiß nicht, was eure Mutter geliebt hat. Sie ist wie eine Blume, vielleicht liebt sie niemanden. Er wandte sich ab und sprach nie wieder von seiner Frau, und auch die Kinder fragten nicht nach ihr, als hätten sie das Gefühl, mit der Erwähnung der Mutter eine Sünde zu begehen. Eines Morgens, nicht lange nachdem sie fortgegangen war, fand Imre den Vater in der Küche beim Verbrennen von Bildern und Zeichnungen. Sämtliche Bleistiftzeichnungen und Kupferstiche, die Anna Szabics abbildeten, gingen in Rauch auf. Kein einziges Porträt der Mutter blieb erhalten, ihr Gesicht und ihre Gestalt wurden vom Vergessen verschlungen, und wenn die Kinder an sie dachten, taten sie es heimlich, schuldbewusst, in einem unbewohnten Wort suchten sie Bewegung, doch außer dem erschreckenden Gefühl des Verlusts fanden sie dort nichts.
    Imre reiste 1834 ins Ausland, da war die traurige Frau mit den unwahrscheinlich weit offenen Augen und den zarten Knochen bereits die Geliebte seines Vaters. Sie ging die Straße entlang, als würde sie der Wind von einer Ecke zur nächsten wehen. Imre hegte keinen Groll und machte niemandem Vorwürfe, er verließ die Stadt und sein Zuhause nicht aus solchen Gründen. Er verstand den Mann vollkommen, der sein Vater war, den man betrogen hatte und der auf Betrug mit Betrug antwortete. Es gab keinen Betrug. Der Vater war verliebt, oder wollte es sein, aus Rache und Verzweiflung, letzten Endes war es egal. Er wolltenichts beweisen, es interessierte ihn nicht, ob die Welt seine Leidenschaft sah, entdeckte und ein Urteil über sie fällte, still und diskret wollte er nur sich selbst etwas beweisen, er machte dem Freund die Frau abspenstig, und sie, Frau Pallagi, die dann ihm sterben würde, hatte vielleicht nicht einmal von ihrem Ehemann Abschied genommen. Es wäre schon gut, dachte Imre, würde Anna Szabics das erfahren.
    In Dresden und Wien studierte er Pflanzenkunde, jahrelang reiste er durch Europa, suchte berühmte botanische Gärten auf, in Verona, Barcelona und Padua. Ein bitterkalter Januarmorgen sah ihn am Oberlauf des Rheins, er war neugierig auf die Stechpalmen, die an diesem Fluss standen. Der Nebel war so dicht, dass man die Hand nicht vor den Augen sah, mit bellenden Stößen erhob sich der Wind und brach Eiszapfen, die Imre klimpernd in den Nacken fielen. Postkutschen und Fuhrwerke froren im Schnee fest, Stechpalmen fand er in den Schneewehen nicht, und beinahe wäre er selbst umgekommen. Noch nach Monaten spürten seine Zehen Nadelstiche nicht. Er nahm in Herbergen menschenleerer Kleinstädte Quartier, wo die Wirte ihn mit misstrauischen Blicken maßen und für Brennholz, Bettzeug, manchmal auch für einen Krug Wasser extra berechneten, und natürlich zeigten sie ihn immer an. Im fränkischen Kronach wollte es einem Greis absolut nicht in den Kopf, dass der fremde junge Mann tagelang nichts anderes tat, als immer wieder eine gewaltige Eibe aufzusuchen, ihre Wurzeln, Rinde und Triebe sowie den Geschmack und die Zusammensetzung

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