Blumenfresser
Wasserläufen mit klarer Bläue durchschnitten, die sich im besten Fall auch zu einem See weiten konnten. Seerosen, Pfeilkraut, die rosigen Schirme der Teichbinsen brechen im Blau des Wassers auf, und an den Ufern ist der Schierling zum Gestrüpp verwachsen, das Laichkraut macht den Wasserspiegel borstig. Wurzelmama hat mir davon erzählt, an einem Tag, der nicht außergewöhnlicher war als andere. Wie oft hatte sie ihren Leib in diesen Gewässern gebadet! Ich mag den Kleister der Nostalgie nicht, auch wenn mich zuweilen der Wunsch ankommt, vergangene Dinge mit Eigenschaften auszustatten, die nur unserer Vorstellung eigen sind. In gewissem Sinne leben wir alle als Ausgestoßene, mein Herr. Mit den meisten unserer Legenden ist es vorbei. Die Protagonisten werden abgelöst, in Zukunft werden Wunder geplant, realisiert und produziert. Wunder werden mit Mauern umfriedet. Jede bewunderungswürdige Erscheinung wird Gegenstand einer Aneignung, sie wird Eigentum, alskönnte ein Wunder eine physikalische Ausdehnung haben. Und wenn früher die lebende Substanz, die Erde, der Himmel, die pflanzlichen Organismen dem Wunder als Heimstätte dienten, so geht der Wandel der Zeit dahin, dass die leblose Materie zum Objekt unserer Bewunderung wird. Wir werden Wunder produzieren, sie werden ein Verfallsdatum haben, wir werden sie vervielfältigen. Ich könnte ohnehin behaupten, dass Gott und seine Heiligen durch die Anstrengung des fachkundigen Geistes geschaffene Wunder sind. Übrigens glaube ich nicht an Gott, aber ich glaube an seine Wunder. Doch was nun folgt, handelt nicht mehr von den Wundertaten der Fachleute. Die Wunder werden von uns gekauft und mit nach Hause genommen, wie Haustiere oder Haushaltsgeräte. Auch Sie werden ein Wunder besitzen, Herr Vogel. Sie kaufen und halten es, wie einen Hund oder wie ein Schwein.
Wie ein Schwein?, fragte Vogel.
Bildlich gesprochen, natürlich.
Und mein Wunder wird dann von Schlempe leben?, fragte Vogel.
Bis Sie es schlachten und aufessen.
Nein, Schön, Vogel neigte sich vor, ich bin kein Gelehrter. Aber ich bin zäh und gebe nie auf, was ich mir vorgenommen habe, und meine Schlauheit, glauben Sie mir, steht Ihren blumigen Phantasien nicht nach. Ich bin stärker als andere, ich bin so stark, er kam noch näher, dass ich keine Wunder brauche. Die haben Feige und Schwache nötig, Schön.
Ich bin feige und habe oft Angst, gnädiger Herr. Ich brauche Wunder, sagte Imre leise und verfiel in Gedanken. Und ich glaube, die Wunder brauchen mich.
Vogel schüttelte ungläubig den Kopf.
Wem hat die Botschaft dieser Grashalmgeschichte gegolten, Schön?!
Es war keine Botschaft … ich habe das nur so gesagt, flüsterte Imre.
Vogel schlug sich selbst auf den Kopf.
Es ist öfter ein Grasmusikant zu uns gekommen, doch auch der … hält sich verborgen.
Ein was?!
Er hat mit einem einzigen Grashalm Musik gemacht.
Auch eines von diesen veralteten Wundern?!, fragte Vogel höhnisch.
Im Grunde schon.
Und was für eine Spezies war dieser Grasmusikant?
Er kam aus dem Kosovo. Er musizierte auf dem letzten kosovarischen Grashalm.
Vogel seufzte ermattet.
Es wird dunkel sein, Schön, sagte er. Es wird so dunkel sein, dass Sie winselnd um einen Fingerhut Kerzenlicht betteln. Doch die Dunkelheit wird nicht nur um Sie herum sein, sie nistet sich auch in Ihnen ein. In Ihrem Körper wird es dunkel sein, in Ihren Träumen, und wenn Sie reden wollen, dampft Ihnen nur Dunkelheit aus dem Mund heraus. Sie wollen brüllen, doch nur Dunkelheit strömt aus Ihrer Kehle.
Gewisse Blumen, murmelte Imre Schön und wischte mit dem Ellbogen einen Blutstropfen vom Tisch, wie zum Beispiel die Schattenblume, wachsen am Fuße dichtbelaubter Buchen. Diese kleinen Pflanzen mögen das Licht nicht, zumindest fühlen sie sich im Halbdunkel sehr wohl. Auch auf Sauerklee und Efeu trifft das zu. Diese Pflanzen lieben das Dämmerlicht des Waldes und den bedeckten Himmel, dennoch kennen sie die verdeckte, aber über ihnen atmende, gewaltige Welt.
Imres Kopf fiel auf die Brust.
Das unheilbare Leiden von Ihresgleichen liegt darin, dass Sie die blumenverzehrenden Rinder, die Blumenfresser, immer in den anderen sehen. Sie lamentieren über fremde, feindselige Kräfte, rohe Mächte, die Ihre Gärten zertrampeln. Nein, Schön, die Blumenfresser sind gerade solche wie Sie!
Es wurde still, Vogel wandte sich langsam um und ging zur Tür.
Das genügt, sagte er.
Ja, sagte Imre, vielleicht habe ich zu viel geredet.
Vogel lachte, ja, Sie
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