Blumenfresser
haben tatsächlich zu viel geredet. Wissen Sie, was ich dieser Wurzelmama ausrichten lasse?
Ich soll ihr etwas ausrichten?, hob Imre Schön den Kopf.
Sagen Sie ihr, dass es aus ist. Es geht nicht mehr weiter, sie tut besser daran, wenn sie sich nicht mehr blicken lässt. Hier wächst kein Gras mehr.
Am nächsten Tag wurde ein Transport von Dutzenden kürzlich ergriffener Einheimischer, unter ihnen Wegelagerer, Räuber, stoppelbärtige Priester und angstschlotternde Lehrer Richtung Pest auf den Weg gebracht. Das milde Wetter dauerte an, die Stadt nahm im Sonnenlicht von ihnen Abschied, Imre starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Straßen. Er sah seine Frau nicht, und die schweren Ketten peinigten ihn.
Jahre später erfuhr Imre, was daheim geschehen war. Nach Wochen schrecklicher Ungewissheit erhielt Klara die Nachricht, Imre sei der Anstiftung zum Mord und der Konspiration gegen die staatliche Ordnung für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden. Die Art der Hinrichtung sei Tod durch Erhängen. Jedermann wusste, dass Haynau gern aufhängen ließ. Somnakaj nahm der reglosen Frau den Brief aus der Hand. Sie versuchte vergeblich zu buchstabieren, der Brief war in Deutsch abgefasst. Klara lag zwei Wochen hilflos darnieder. Somnakaj küsste ihr die Hand, kühlte ihr die Stirn mit Umschlägen, schob ihr Kartoffelstücke und Apfelmus zwischen die Lippen. Peter, der bereits gesund war, blieb verschwunden, dieser Drecksack löste sich immer in Luft auf, wenn er gebraucht wurde.
Weitere zwei Wochen später erfuhren sie dank der Nachforschungen von Doktor Schütz, dass Imres Todesurteil in eine lebenslängliche Gefängnisstrafe umgewandelt worden war. Er verbrachte einige Tage in der zugigen, von Küchenschaben wimmelnden Zelle des Wiener Kriminalgerichts und wurde an einem lauen Morgen, als von den Unterkünften der Aufseher fröhliche Geigentöne herüberklangen, mit einigen Gefährten nach Josephstadt abtransportiert.
Gefängnisjahre
Er musste lachen, wie verschieden die Kreaturen der Schöpfung waren, an denen die gleichen Ketten rasselten. Seine Augen glänzten fiebrig, er war nicht bei sich, knirschte mit den Zähnen. Es wurde herumgeschrien, grelles Licht traf seine Augen, sie gelangten in einen langen, halbdunklen Korridor, Ammoniakgeruch lag in der Luft. Er fiel zusammen wie eine Fetzenpuppe, kam wieder zu Besinnung, als man ihm irgendein Pulver eingab, er spuckte es unter schrillem Gelächter aus, der bittere Schaum floss ihm in die Kehle zurück, nach Luft ringend lachte er weiter. Bauern im Pelz, Steppenräuber mit borstigen Gesichtern, bleiche Herrensöhnchen, trübsinnige Offiziere waren seine Schicksalsgefährten. Dieses Kind war Ungar, es hob seine Storchenbeine im Eisen, als würde es auch jetzt fliegen. Der summende Dicke war ein Italiener, dort drüben sprach ein blonder Pole mit sich selbst, doch am düstersten sah der Deutsche vor sich hin, er hätte mit seinem Blick töten können. An jedem hing eine Kette wie an einem Hund, sie wurden von dem Eisen aneinandergefesselt, so wie das riesige Reich von seinen Gesetzen und Ämtern gefesselt wurde.
Zuerst hatte man einige von ihnen in das Neue Gebäude nach Pest gebracht, dann waren sie am frühen Morgen zum Zug getrieben worden, um nach einer guten Woche Gezockel in Josephstadt einzutreffen. Stumm schlurften sie zwischen den Aufsehern, sie waren ausgelaugt und unausgeschlafen, auf Kommando nahmen sie ihre Sachen entgegen. Einige hatten eine Reisetasche bei sich, sie durften ihre persönlichen Dinge behalten, die Gefangenen adeliger Herkunft wurden besser behandelt. Er war nicht adelig, trotzdem wurde er nicht zum Schanzenbau eingeteilt wie andere, die in den ersten Jahren der Gefangenschaft in der Hölle der Kasematten schmachteten und Gott danken mussten, wenn sie diese Zeit überlebten. Weitere Kommandoworte schmetterten, ein Wärter polterte im Korridor, wer nicht rasch genug reagierte, den stieß er gegen die Wand, ein alter Mann brach sich die Nase, sein Blut tropfte auf den Steinboden, dann geschah lange nichts, es war still, andere Gefangene, Köche und Reinigungsdienstler beobachteten sie vom Ende des Korridors, die Menschlicheren warfen ihnen das eine oder andere Wort der Ermutigung zu. Der Gefängnisschreiber fluchte leise, das Tintenfass war umgestürzt. Am Anfang der Reihe klatschte eine Ohrfeige, ein Aufseher stieß Verwünschungen aus, die Menschen trampelten sich auf die Füße. Bald fand Imre sich im Freien wieder. Die
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