Blumenfresser
dem Kind Adam blieb das alles verborgen.
Mit einer Pistole, die er in der französischen Kommode verwahrte, nahm Pallagi sich im November 1837 das Leben. Adam hatte oft gesehen, wie er das Todeswerkzeug mit dem kurzen Lauf und dem Silbergriff herausnahm und mit einem weichen Hirschlederlappen abrieb. Der Richter sprach mit der Pistole, gab ihr Kosenamen wie einer Geliebten. Auf der Kommode stand das Bild seiner Frau, aus dem vergoldeten Rahmen blickte ihnen ein unscheinbares Geschöpf entgegen, mit dem schönen Namen Mária Báthory. Gut drei Jahren zuvor war sie gestorben, hatte das Leben aus sich herausgehustet. Adam hatte seinen Vater nie an ihrem Krankenbett gesehen, dort saß stattdessen Antal Schön, Lehrer bei den Piaristen, ein freundlicher, aber zurückhaltender Mann, der sie oft, während des Nachmittagsspaziergangs oder beim Einkaufen, auf der Straße anhielt. Die Mutter und Professor Schön flüsterten lange und leidenschaftlich miteinander, ihre Worte schlugen zusammen, knisterten und stachelten einander auf, wie der Wind, wenn er die Glut zu rotem Leuchten reizt. Wenn der eine flehte, zischte der anderezornig zurück, mal weinten sie beide, mal lachten sie einander aus. Mit dem Richter hat die Mutter nie auf diese Weise gesprochen, mit so einem Zorn, mit so einer Hingabe und Leidenschaft und verrückten Verzückung. Und nie hat sie so mit ihm gesprochen, dem kleinen Jungen. Nicht die graue und unscheinbare Frau rang und schäkerte mit dem Professor, sondern eine mit blitzenden Augen, die sich jedoch leicht erweichen ließ! Wenn er sich verabschiedet hatte, erlosch das Feuer in ihren Augen. Adam erinnerte sich nicht an ihren Tod, die Ereignisse des gemeinsamen Lebens verblassten, die Mutter war gestorben und begraben, doch mit der Zeit wusste er das nur mehr mit Worten; Erinnerungen hatte er keine. An den Vater erinnerte er sich natürlich gut, denn wo Richter Pallagi sich auch zeigte, verbreitete er gute Laune und erntete großes Gelächter. Der Junge hatte nie verstanden, was so amüsant an ihm war.
Er hat die letzten Momente im Leben seines Vaters mit angesehen.
Pallagi saß im Salon, zusammengesunken am Tisch, neben dem roten Getränk im Glas und einer voluminösen Flasche blitzte die Waffe. Unter Adams Füßen knarrte das Parkett, der Vater hob den ausdruckslosen Blick, um gleich wieder die Pistole anzustarren.
Adam musste kichern und konnte nicht aufhören.
Er verstand sich selbst nicht.
Er verstand nicht, warum er lachte, und begriff nicht, was bevorstand.
Das Ganze kam ihm wie ein lustiges Spiel vor.
Wenn andere über den Vater lachten, warum nicht auch er?!
Der Vater sah ihn an, dann nahm er die Waffe in den Mund und drückte ab.
Adam empfand keine Angst, er lachte immer noch, kicherte krampfhaft und lautlos, dann schloss er die Augen und ging aus dem Zimmer. Er zog die Tür hinter sich zu und wartete. Er konnte nur an eines denken, dass ihn der Vater auch jetzt nicht gesehen hatte. Aus diesem Zimmer würde der Vater nicht mehrlebend herauskommen. Der Schießpulverrauch sickerte in den Flur, die Wanduhr tickte laut, draußen spielte die Grasmusik. Der Junge trat auf die Straße hinaus, bis zur Dämmerung ging er fast im Halbschlaf spazieren, er hätte gerne den Jungs Bescheid gesagt, Kigl, Pukker, dem kleinen Barcs, Salamon, wenn sie einen Toten sehen wollten, dann nur zu, hier war sein Vater! Auf dem Markt nahm er einen Apfel vom Tisch, man rief ihm nicht nach, unterwegs summte er, riss Gräser aus, schließlich wandte er sich heimwärts. Er wusste, dass Nero Koszta alle seine Schritte beobachtete, und hörte, dass er für ihn musizierte. Er griff sich an den Hals, wo ihn der Grasmusikant einmal gepackt hatte und der Abdruck noch zu sehen war. Er durfte Nero Koszta nicht enttäuschen! Das Haus war still, und er sah, dass niemand hier gewesen war. Das Dienstmädchen hatte einen freien Tag. Er spürte keinen Schmerz, der Verstorbene war fremd, war ihm niemand gewesen, nur sein Vater. Als er zu Doktor Schütz kam, dachte er nicht an seinen Vater, sondern an den anderen Mann, der ganze Nachmittage am Krankenbett der Mutter verbracht hatte, wenn der Vater auf dem Gericht oder in der Stadt unterwegs war, Karten spielte, die Leute zum Lachen brachte. Der Vater hatte ihn immer aus weiter Ferne betrachtet, wie man eine Fliege betrachtet, er streichelte ihm über die Stirn und schob ihn gleich wieder weg. Während der andere Mann, Antal Schön, immer nett und aufmerksam gewesen war, seine
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