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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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gehorsam.
    Und warum gibt es mich nicht? Der Grasmusikant rückte mit seinem gewaltigen Antlitz dicht an ihn heran. Um sein Ohr wand sich ein Regenwurm, in seinem Haar hing eine Distel, und das Schwarze in seinem Gesicht war Erde. Am Hals krabbelten Käfer mit roten Rücken, Feuerwanzen.
    Es gibt Sie nicht, weil … Adam verstummte.
    Er spürte, wie der Griff um seinen Hals fester wurde. Also wird er jetzt sterben?! Dieser schreckliche, wenn auch nicht besonders furchterregende Kerl wird ihm das Leben nehmen?! Er riss sich zusammen und antwortete.
    Weil Sie vom Schlachtfeld von Mohács kommen, und das seit dreihundert Jahren!, keuchte er.
    Seit genau dieser Zeit, du Narr!, Nero Koszta zauste den Jungen, und aus Kosovo Polje komme ich auch, vergiss das nicht!
    Ich vergesse es nicht, und auch nicht, dass es Sie deshalb nicht gibt, weil es Sie doch gibt!
    Vielleicht hatte der Grasmusikant den letzten Satz nicht gehört. Er warf ihn zu Boden wie einen leichten Sack und ging musizierend davon. Noch lange sah Adam die gewaltige Gestalt, die sich wiegenden Schultern, er rang nach Luft, als würde ihm immer noch der Hals zugedrückt.
    Mohács, sagte er, Mohács!
    Ein Bauernjunge stand in der Ecke des Hofs und starrte ihn grinsend an.
    Narr, rief er ihm zu, du ausgemachter Narr!
    Adam begann zu ihm zu sprechen, er haspelte und haspelte, damit ihn der andere anhörte, doch er verstand selbst nicht, was er sagte. Vielleicht redete er vom Grasmusikanten. Vielleicht von dessen Späßen, vielleicht von der eigenen Einsamkeit!
    Das Kind war bereits davongelaufen, nur das niedergetretene Gras bewies, dass es tatsächlich hier gewesen war. Adam stand wieder allein neben der Scheune. Schweiß brannte ihm in den Augen, sein Mund war ausgetrocknet, wieder hörte er Laute. Ein Rehkitz hatte sich zum Zaun verirrt, es weinte nach der Mutter. Adam steckte die Finger zwischen die Latten, berührte das nasse Näschen, das Tier erschrak nicht, es leckte Adam die Finger ab und war auch nicht beunruhigt, als er über den Zaun stieg und seinen Körper befühlte. Das kann kein Zufall sein, dachte er. Man konnte die Rippen zählen, seine Glieder waren dünn, und weil er so kümmerlich war, hinterließ er keine Spuren, aber der große Nero Koszta hatte es dennoch der Mühe Wert gefunden, ihn fast umzubringen und auch noch Späße mit ihm zu machen! Das hätte ihn erschrecken können, doch er hatte es nicht mit der Angst bekommen. Von nun an würde er sich nicht mehr fürchten, vor keiner Macht, die ihm etwas antun wollte. Nur wenig später entdeckte er auf dem Fensterbrett einen Singvogel, eine Wachtel mit glänzenden Federn, das war bereits zu Hause, in Szeged. Der Vater war nicht da, die Mutter trällerte und hustete. Adam griff nach dem kleinen Körper, fügsam duldete der Vogel die Berührung. Der Junge fühlte, wie das winzige Herz in seiner Hand klopfte. Ich könnte ihn töten, dachte er. Ein süßer Geschmack zerfloss in seinem Mund, in seiner Hand kauerte ein Leben, in den Sehnen seiner Finger spannte sich der Tod, und die Grasmusik klang ihm in den Ohren.
    Flieg, flieg zu Nero Koszta und singe für ihn!
    Er riss dem Vogel eine Schwanzfeder aus und schenkte ihm die Freiheit.

Zum ersten Mal so richtig glücklich sein!
    Nach dem Tod des Vaters wurde er in Pest untergebracht. Herr Schütz hatte das mit Hilfe seiner weit verzweigten Verwandtschaft organisiert. Adam kam zu Pester Schwaben, unübersehbar miteinander verwobenen, wohlhabenden Familien, bei denen es üblich war, dass die jungen Leute bei ihrer Heirat auf den Willen der Eltern Rücksicht nahmen, woraufhin nach der Hochzeit Silbergeschirr und Dürer-Stiche in gewaltigen handgeschnitzten Holzkisten aus dem einen Haus ins andere getragen wurden. In ihrer Verwandtschaft gab es Färber, Winzer und Eisenhändler, aber auch vor den napoleonischen Kriegen geflohene Adelige. Sie waren laut und grob. Mitunter verstummen sie ohne jeden Anlass und starrten stumpf vor sich hin. Ein andermal feierten sie laut und ausgelassen. Adam lernte, auf Deutsch zu beten, und das war wirklich lustig. Die Familie Frikker wohnte nicht weit von der Vácer Gasse in einem zweistöckigen Haus, dem größten in einer Seitenstraße, aus dessen Fenstern die Burg auf der anderen Seite der Donau gut zu sehen war. Ihre schwäbischen Vorfahren waren mit einer einzigen Kiste nach Ungarn gekommen, eigentlich einem Schiffchen, wie Adam später erfuhr, vor zweihundert Jahren hatte es in Ulm abgelegt. Die Frikker, die Gauss

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