Blumenfresser
seine Brust und sein Gesicht ein, und dann sah Adam, dass sie Angst hatte. Er konnte ihnen zusehen, so lange er wollte. Sie fauchten ihn nicht an, er solle verschwinden, seine Nase nicht in die Angelegenheiten der Erwachsenen stecken. Einmal kam er zur Tür herein, als sie sich gerade liebten, der Vater lag, von Zuckungen geschüttelt, auf der Mutter, sie hatte den Mund weit aufgerissen und schien die Kehle zum Durchschneiden darzubieten, seine Hose war bis zu den Knöcheln gerutscht, am Ende der lächerlich dünnen Beine leuchtete das zuckende Gesäß. Adam sah ihnen minutenlang zu, er wusste noch nicht, was sie taten, doch es war beängstigend, eine Katze im Todeskampf, das war sein Gedanke. Ob sie ihn nicht bemerkten oder nicht bemerken wollten, das hat er nie erfahren. Später erging es ihm ähnlich, er geriet in eine Gesellschaft, wo man ihn übersah; falls man ihn anredete, hatte man ihn im nächsten Moment vergessen, er war nichts, war niemand, nur ein Schatten, ein Phantom, das zu niemandem gehörte. Anfangs hatte er sterben wollen, so unglücklich machte ihn dieses Übersehenwerden. Doch wie schrecklich die Erfahrung des Ausgestoßenseins zu Beginn, in den ersten Jahren seines bewussten Lebens auch war, mit der Zeit kam es ihm mehr und mehr als etwas Natürliches vor, und er nutzte es zu seinem Vorteil.
Richter Pallagi feierte die Geburt seines Sohnes, als sei ein Thronfolger zu Welt gekommen. Es war im Herbst 1824, und seltsamerweise ertranken drei Menschen am selben Tag in derTheiß. Der Richter zog durch die Kaffeehäuser der Stadt, spendierte Sekt und teure Weine, trank Palinka in rauen Mengen, bis man ihn im Morgengrauen vor seinem Haus vom Wagen des gleichfalls betrunkenen Fellhändlers hob. Wie die Pferde hergefunden hatten, blieb ein Rätsel. Es hieß, eine schwarze Katze habe im Tor gesessen und ein Möwenküken im Maul gehalten. Von irgendeiner seltsamen Musik war die Rede, wie vom Wogen eines fernen Feldes herübergetragen. Die Menschen erzählen viel. Pallagi verschlief den ganzen Tag und wachte auch am nächsten nicht auf, sowenig wie am übernächsten, obwohl ein Unwetter über der Stadt tobte, Bäume umknickte und Wagen vor sich herfegte. Auf das Grollen des Himmels antwortete sein Schnarchen. Am Morgen des dritten Tages steckte ihm jemand einen in Paprika gewälzten Frosch unter die Decke. Der Richter öffnete seine rot geäderten Augen, betastete seine Lenden, nach einigem Herumfingern bekam er das Vieh zu fassen und betrachtete es nachdenklich. Er saß bereits auf der Bettkante, außerstande zu begreifen, was geschehen war, er wollte nach einem Dienstboten brüllen, brachte aber nur ein Röcheln heraus. Wieder starrte er den Frosch an, um ihn dann in die Ecke zu klatschen. Das Dienstmädchen riss die Tür auf, denn sie hatte gelauscht.
Ihr Kind ist zur Welt gekommen, Herr Richter!, rief sie.
Wessen Kind, du Plappermaul?!
Meines sicher nicht, antwortete sie frech und musste kichern.
Der Blitz soll dir in den Arsch fahren, Rózsi! Bring mir Sauerkrautsaft!
Wozu, Herr Richter, Sie erbrechen ihn ja doch!
Pallagi kippte eine Kanne Sauerkrautsaft in sich hinein und übergab sich nicht. Er bespritzte sich mit Eiswasser, zog sich an und bürstete seinen Schnurrbart, seine Hand hatte zu zittern aufgehört. Er sah sich den Kleinen und die junge, blasse Mutter an, und obwohl er sich weder an die Schwangerschaft seiner Frau noch an das Ereignis der Geburt, noch an die tagelangen, turbulenten Feierlichkeiten erinnerte, entschied er, dasssein Nachkomme ein großer Mann werden müsse. Zu einer nationalen Berühmtheit wird er ihn erziehen! Zu einem Politiker, einem Feldherrn oder Dichter! Das heißt, zu einem Dichter besser nicht! Adam wuchs heran, und sein zukünftiges Schicksal interessierte den Richter immer weniger. Mochte der Kleine ihn anplappern, am Saum seines Dolmans zerren, Pallagi grummelte nur unwillig und schob ihn weg. Niemals schlug er ihn, er bestrafte ihn nicht, ob der Junge nun herumstrolchte, frech oder schlimm war. Manchmal sah er ihn mit ausdrucksloser Miene an, während er den Tobak in sich hineinstopfte. Zerstreut fragte er ihn über Geschichten von ruhmreichen Königen und Helden aus. Er erzog ihn nicht und sparte sich väterliche Ratschläge, nahm keinen Einfluss auf seine Handlungen und Gedanken, doch hin und wieder betrachtete er ihn verwundert wie den Abgesandten einer fremden, fernen Welt. In der Stadt galt Pallagi als Mann mit goldenem Herzen und frappantem Humor, doch
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