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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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weichen Hände dufteten nach Minze, oft bekam er Süßigkeiten von ihm. Sein Blick war verschleiert. Einmal sah er ihm nachdenklich in die Augen.
    Du fürchtest dich vor niemandem, oder?
    Adam war überrascht, so was hatte ihn noch niemand gefragt.
    Ich … ich weiß nicht, stotterte er.
    So ist es, sagte der Lehrer, du bist ärmer als wir. Du fürchtest dich vor niemandem. Wie schade, wie schade!, und er streichelte ihm bedauernd den Schopf, und Adam krampfte sich der Magen zusammen. Immer spürte er etwas Begütigendes in der Traurigkeit, die von diesem Mann ausging, und er stellte sichvor, der Lehrer sei mit unsichtbaren Seilen vom Himmel heruntergelassen, doch wenn es ihm hier unten gefiel, würde er sogleich wieder hinaufgezogen.
    Er hat sich erschossen, sagst du? Doktor Schütz runzelte argwöhnisch die Stirn, offenbar hatte er gerade zu Bett gehen wollen. Der Junge nickte.
    Hast du gesehen, wie es geschehen ist?
    Wieder nickte er und musste grinsen.
    Nein wirklich, das war alles, was er dir hat geben können, sagte der Doktor. Hastig zog er sich an, und sie verließen das Haus. In den dunklen Gassen redeten sie nichts, der unstete Wind raschelte im Laub. Der Doktor atmete pfeifend und sprang von einer Planke zur nächsten.
    Der Junge verstand das Verhalten des Doktors nicht, denn was sie im Salon erwartete, war absolut kein Anblick für Kinder, trotzdem schickte Herr Schütz ihn nicht hinaus, er ließ sich im Lehnstuhl nieder und sah den Richter lange an, betrachtete den unversehrt gebliebenen Teil des Gesichts aus der Nähe, das Grausen der letzten Momente hatte darauf ein seltsames Lächeln gemalt, wie als wollte er noch im letzten Moment sagen, siehst du, mein Freund, so weit ist es mit uns gekommen, das ist aus dem Ganzen geworden, dieser letzte Scherz ist uns geblieben, und wenn ich noch jemanden zum Lachen gebracht habe, dann habe ich nicht umsonst gelebt!
    Der Doktor grunzte auf, Dummkopf, Dummkopf , er starrte auf die Blutlache unter dem Stuhl und auf die Waffe, die auf den Teppichfransen lag, sein Mund formte irgendwelche Worte. Schließlich schloss er die Augen, dann besann er sich und warf einen Blick auf den Jungen, der in der Tür wartete.
    Also, der hat tatsächlich den Löffel abgegeben.
    Du armer Junge, schnaufte der Doktor, du Armer!
    Das sich rasch verflüchtigende väterliche Erbe bestand aus dem Pallagi-Gut nördlich der Stadt, an der Straße nach Algyő, auf dem Hang in der Nähe wuchsen Acker-Senf, Primeln und Wolfsmilch. Wenn der Herbst über die Gegend hinweghauchte,wickelten sich Spinnenfäden um die Spitzen der vom Reif angekränkelten Pflanzen. Adam hörte immer die Musik des einsamen Affenbrotbaums und stellte sich vor, dass zwischen den Wurzeln des Baums vergessene Tote weinten. Auch nach dem Tod des Vaters ging er dorthin. Wieder war Herbst, und seltsamerweise regte sich kein Lüftchen. Der Affenbrotbaum stand reglos da, und Adam dachte daran, wie oft er hier gewesen war, wie oft er hier gespielt hatte und dass er hier dem Grasmusikanten das erste Mal begegnet war!
    Er war noch keine zehn Jahre alt gewesen, als ihn der Grasmusikant gewürgt hatte, damals lebte die Mutter noch, bereits von der Krankheit gezeichnet, doch der Tod war nur ein Wort wie andere auch. Zur Theiß hin schützte ein Saum aus Pappeln das Gut vor dem Wind, an wolkenlosen Tagen ragte er als riesiger Silbervorhang in die Höhe. In der Nähe reihten sich weiß getünchte Wirtschaftsgebäude aneinander, die Algyőer Straße machte hier eine sanfte Biegung, bevor sie in den Gutshof mündete. Die Toreinfahrt war zu beiden Seiten von Kletterrosen bewachsen, die von Mai an mit Bienen und Wespen musizierten. Das Kind verbrachte ganze Sommer hier, von niemandem gestört, sie ließen ihm eine Reisetasche mit Kleidern da, gaben ihm einen eiligen Kuss auf die Stirn und hatten ihn auch schon vergessen, die Mietdroschke klapperte aus dem Hof, und plötzlich fiel ihm auf, dass sie sich gar nicht von ihm verabschiedet hatten. Nach dem dritten Mal weinte er nicht mehr. Heisere Verwalter mit schmutzigen Fingern brachten ihm Schreiben und Lesen bei, das Töten und Paaren sah er bei den Tieren. Und wenngleich er sich das Gesicht seiner Mutter auch nach ihrem Tod noch vorstellen konnte, mit ihrer Stimme gelang es ihm nicht mehr, und das schmerzte ihn mehr als alles andere. Er sah sie singen, doch wie gern hätte er die Melodie gehört! Als sie starb, war er zehn, eigentlich schon ein großer Junge, doch er erinnerte sich nicht

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